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Varianz der Archivalquellen

Archivgut im strengen Sinne liegt in Gestalt verschiedener Informationsträger oder Speichermedien vor. 

Texte

expand: Scan: Martin Burkhardt
Dankschreiben von der Front, 1914.

Den größten Raum in Archivmagazinen nimmt der "klassische" Informationsspeicher Papier ein, in mehr oder minder fest formierten Einheiten. Fest gebunden, meist mit Deckel, phänotypisch wie ein Buch aussehend, läuft das unter "Amtsbuch" oder "Geschäftsbuch" mit der Grundeinheit "1 Band". Die Einheiten bei den Akten, deren Blätter geheftet oder einfach lose übereinander gelegt sind, bezeichnet man regional unterschiedlich als "Aktenband", "Aktenheft", "Büschel", "Faszikel" oder "Konvolut". Eine Urkunde ist eine solche, wenn sie bestimmte formale Kriterien erfüllt; sie darf auf Pergament oder Papier geschrieben sein; wegen der oft anhängenden Siegel werden Urkunden üblicherweise als "Selekt" geführt, also als eigener (Teil-)Bestand separat verzeichnet und gelagert. Archive enthalten auch reichlich Druckschriften, teils in gesonderten Sammlungsbeständen, teils in zugehörige Akteneinheiten integriert: Insbesondere Zeitungen, Rundschreiben, Erlasse, Flugblätter, Kalender, den bunten Strauß an "grauer" Literatur (ohne ISB-Nummer), wie Jahresberichte, Festschriften, historiographische Traktate, technische Anleitungen, usw. usf.

Bilder

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Für Bilder im Archiv (ausgenommen spezielle Bildarchive) gilt das gleiche wie für die Druckschriften: Sie liegen teils in Sondersammlungen, teils eingebettet (oder auch verstreut) in Akten-Beständen. Nichts kommt nicht vor: illustrierte Ahnentafeln bzw. Stammbäume, so genannte Augenschein-Karten und andere amtliche Zeichnungen von Landschaften, Orten und Gebäuden, Karten, Baupläne, Konstruktionszeichnungen, Fotografien (von der Schwarzweiß-Glasplatte bis zum Farb-Papierabzug), Plakate, Postkarten, Schaubilder, Buchillustrationen, bildende Kunst (in der Regel zweidimensional, vom Druck bis zum Ölgemälde) - die Reihe ist gewiss unvollständig. 

AVD / Multimedia / Neue Medien / Elektronische Archivalien

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Andere als zweidimensionale Text- oder Bildträger gelangen selten in Archive, ausgenommen selbstredend die Medienarchive. Über den Daumen gepeilt, dürfte sich das quantitative Verhältnis der Gattungen Text / Bild / neue Medien im Durchschnittsarchiv derzeit auf 1000 zu 25 zu 1 belaufen. In kleineren Archiven könnte die Nutzung wegen des Fehlens geeigneter Abspielgeräte für die Tonbänder, Audiokassetten, Polyethylen- und Videofilme Probleme bereiten.

Künftig wird wohl zunehmend auch mit elektronischen Speichermedien wie Disketten und CDs zu rechnen sein. Das Bundesarchiv hält bereits elektronisches Archivgut in nennenswertem Umfang für die Nutzung bereit, etwa Datenbanken der ehemaligen DDR wie z.B. den zentralen Kaderdatenspeicher. Auch einige Landesarchive haben schon Archivgut in Gestalt von Bits und Bytes übernommen, so das Hauptstaatsarchiv Dresden und das Staatsarchiv Ludwigsburg. Diese Quellengattung wird in Zukunft stark zunehmen, wiewohl sie den Archiven einen hohen Aufwand abverlangt.   

Einen Sonderfall bilden Mikrofilme und Mikrofiches, die in der Regel als Schutz- oder Ersatzverfilmung von Akten, Urkunden, Karten und Fotos angefertigt wurden. 

Museale Gegenstände

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findet man nur ausnahmsweise in einem Archiv. Solche Ausnahmen können im Staatsarchiv die als Beweisstück in der Gerichtsakte angehängte Schere vom Kindsmörderinnen-Prozess aus dem 18. Jahrhundert sein; im Vereinsarchiv die Siegespokale; im Wirtschaftsarchiv allerlei Reklameträger, wie Textilien mit Aufdruck, Spardosen oder dreidimensionale Werbefiguren. 

Wahrung persönlicher Rechte mit Hilfe von Archivalien

Heute gelten Archive in erster Linie als Quellenspeicher für die historische Forschung. Diese Entwicklung nahmen sie jedoch erst im Lauf des 19. Jahrhunderts, nach einer so genannten "kopernikanischen Wende" im Zuge der französischen Revolution. Zuvor dienten Archive ihren Trägern einzig als Schatzkammern, in denen sie materiell wertvolle juristische Beweismittel für ihre Rechte bunkerten. Der juristische Aspekt ist heute im öffentlichen Bewusstsein etwas in den Hintergrund getreten, gilt aber immer noch. 

In Archiven aufbewahrte Schriftstücke können Menschen bei der Wahrung persönlicher Rechte helfen, man denke etwa an die aktuellen Nachweise über Zwangsarbeit, an Nachweise von Ausbildungsabschlüssen, oder von Nutzungsrechten, wie es ein Beispiel aus dem Jahr 1999 zeigt: "An einem Freitagabend gegen 19.30 Uhr betrat ein Ehepaar unser Archiv, um eine vorbestellte Akte einzusehen. Die beiden hatten erkennbar Schwierigkeiten bei der Lektüre und so ergab es sich, dass ich ihnen die Bauakte vom Ende des 19. Jahrhunderts vorlas. Mit jedem Satz, den ich las, hellten sich die Mienen des Ehepaars auf, bis sie ihre Geschichte erzählten: Ihre kleine Eisen verarbeitende Fabrik lag in einem Wohngebiet und sollte auf Anweisung der Gemeinde in das Industriegebiet verlegt werden. Für die Umsiedlung fehlte aber das Geld. Der Betrieb und knapp 10 Arbeitsplätze standen - trotz der Beratung von mehreren Rechtsanwälten - auf dem Spiel. Die vorgelegte Bauakte enthielt nun die Baugenehmigung für eine Schmiede an dem Standort der heutigen Fabrik samt Zustimmung von Gemeinde und Einverständnis der Nachbarn. Damit war auch der heutige Betrieb gerettet. Als die beiden das Archiv verließen, drehte sich der Mann noch einmal um und meinte: »Wenn wir eher gewusst hätten, dass hier diese Unterlagen sind, hätten wir uns viel Geld sparen können.« Und mir stellte sich die Frage: »Welche Chance hatte dieses Ehepaar, von einem Archiv und seinen Aufgaben überhaupt zu wissen?« Wenn wir ehrlich sind: keine." [1]

Ähnlich gelagerte Fälle sind so genannte Grunddienstbarkeiten wie Durchfahrts- oder Wegerechte. Wassernutzungs- und Mühlenrechte gelten, sofern sie nicht abgelöst wurden, ewig: Mit einem Wasserrecht aus dem 16. Jahrhundert, das eine Kollegin 1994 nachwies, gewann ein Bürger seinen Prozess gegen die Kommune um seine private Wasserkraftanlage, mit der er dann weiter eigenen Strom erzeugen durfte. Die Staatsarchive in den neuen Bundesländern haben in den vergangenen Jahren einen erheblichen Teil ihres Personals zu nichts anderem eingesetzt, als Restitutionsansprüche mit Auszügen aus den Grundbüchern (allein im Landeshauptarchiv Potsdam: acht Regalkilometer) und aus anderen Unterlagen zu unterfüttern.


Anmerkungen

[1] Clemens Rehm: Zauberwort "Archivpädagogik". Vortrag am 12.10.2000 auf dem Deutschen Archivtag in Nürnberg.

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