Vor- und Nachteile von 3D Rekonstruktionen und Modellen
Einer der grundlegenden Vorteile der Arbeit mit dreidimensionalen Objekten ist , dass unsere reale Welt ebenfalls genuin dreidimensional ist, man also mithilfe dreidimensionaler digitaler 3D-Objekte keine Information verliert, die z.B. bei einer Zeichnung perspektivisch verdeckt werden würde. Hinzu kommen die bereits zuvor genannten Anwendungen in der Museumspädagogik und Forschung (insbesondere die 3D-Dokumentation von historischen Gebäuden und Objekten – was z.B. im Moment für die Restaurierung von Notre Dame genutzt wird). Neben dieser vor allem visuellen Veranschaulichung helfen digitale Methoden anhand von 3D-Objekten auch, z.T. aufwendige analoge Methoden abzulösen (z.B. plastisch-anatomische Rekonstruktionen, Modellbau, uvm.). Zwar sind diese Methoden nicht unbedingt immer (aber oftmals) schneller, aber sie erlauben es,jederzeit an einem 3D-Objekt Veränderungen vorzunehmen, um zum einen neue Forschungserkenntnisse oder -thesen zu berücksichtigen und so zum anderen vergleichsweise simpel verschiedene Interpretationsvorschläge anzubieten.
Ein großer Nachteil der Nutzung von 3D-Rekonstruktionen und 3D-Modellen liegt noch nicht mal in diesen selbst begründet, sondern in der Art und Weise ihrer Erstellung: Eine noch immer sehr oft (über 95%) fehlende wissenschaftliche Dokumentation während der Erstellung einer Rekonstruktion verhindert eine effektive wissenschaftliche Nachnutzbarkeit und sorgt damit für erhebliche Mehrkosten. Dieses Problem umfasst mehrere Ebenen, die aber im Kern auf die gleiche Unzulänglichkeit von 3D-Modellen oder besser 3D-Dateiformaten zurückzuführen sind. Diese entstammen zum einen zu 99% aus Industriestandards und ihren Softwareanwendungen und berücksichtigen in diesem Sinne auch keine Erfordernisse wissenschaftlichen Arbeitens wie vor allem Fußnoten; zum anderen erfordert es erfahrene Personen, welche diese 3D-Anwendungen bedienen können – dies sind aber auch zum größten Teil keine Akademiker*innen.
Im Idealfall würden bei der Erstellung der Rekonstruktion ein/e Grafikdesigner*in und ein/e Wissenschaftler*in zusammenarbeiten, was wiederum einen erhöhten finanziellen Personalaufwand bedeutet. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Dokumentation noch einmal mindestens die gleiche Arbeitszeit erfordert, wie das Erstellen der Rekonstruktion selbst, mitunter sogar mehr Zeit. Aber nur so kann mithilfe einer begleitenden, kleinteiligen Dokumentation – in der vor allem die Nutzung der Sekundärquellen sowie die notwendig getroffenen Interpretationen zur Schließung von Informationslücken im Modell kommuniziert werden – eine wissenschaftliche Diskussion ermöglicht werden. Im Sinne von Fußnoten führt dies zu einer transparenten Nachvollziehbarkeit der Argumentation und Interpretation, die zur vorliegenden Rekonstruktion geführt haben.
Hat man eine solche diese Dokumentation nicht (und dies ist leider wie bereits erwähnt der aktuelle Stand der Dinge bei den meisten Rekonstruktionen), wird es zum einen schwer, eine Rekonstruktion jenseits rein visuell-präsentativer Zwecke für z.B. Simulationen oder Licht- bzw. Sichtlinienanalysen zu nutzen, da man nicht genau im Detail nachverfolgen kann, wie sorgfältig und wissenschaftlich abgewogen besagte Rekonstruktion erstellt worden ist. Man weiß also nicht, ob weiterführende Fragen überhaupt einen aussagekräftigen Mehrwert bringen, wenn schon die Grundlage nicht sicher geklärt oder zumindest einordbar ist. Ein seriöser wissenschaftlicher Diskurs über den Erkenntniswert der Rekonstruktion ist damit nicht möglich, da man nicht weiß, welche potenziellen Quellen, Ideen und Ansätze hinter einzelnen Elementen stecken und man so fast nur die Rekonstruktion als Ganzes kritisieren kann. Letzteres zu tun führt wiederum zu Mehrkosten, da man neben der fehlenden Dokumentation ebenso oft auch keinen Zugang zur 3D-Datei erhält, um direkt an diesem Modell Veränderungen, neue Erkenntnisse oder Interpretationen einzubauen.
Es gibt mehrere Gründe, warum 3D-Dateien nicht frei zugänglich sind: Es liegt zum einen am zuvor genannten hohen Kostenfaktor bei der Erstellung von 3D-Rekonsturktionen und damit auch (z.T. institutionsbedingte) verbundenen Urheberrechtsfragen, die eine Herausgabe der Dateien nicht erlauben; zum anderen kann man aber durch eine mangelnde Dokumentation den Herstellungsprozess nicht mehr nachvollziehen und selbst mit Zugang zur Datei nicht garantieren, dass diese nach ordentlichen wissenschaftlichen Gesichtspunkten erstellt worden ist: ein doppeltes Dilemma.
Eine Lösung, die an dieser Stelle oftmals genutzt wird, ist dann, dass man einfach ein komplett neues 3D-Modell vom selben Objekt oder Gebäude erstellt, nur um z.B. einen Abschnitt vom Dach eines Gebäudes anzupassen, was leider ein weiteres Mal teuer ist – zudem werden aber auch solche neueren Projekte dann ebenfalls in vielen Fällen nicht mit einer ordentlichen Dokumentation versehen, so dass Forschende zum gleichen Thema mit neuen Erkenntnissen Jahre später vor demselben Problem stehen; damit wird auch verhindert, dass überhaupt eine seriöse Forschungsdebatte mit verschiedenen Rekonstruktionen (= Interpretationen, die ja für einen akademischen Diskurs wünschenswert wären) über einen längeren Zeitraum entstehen kann.-
Es existieren zwar vereinzelte Versuche, Metadatenmodelle zu entwickeln, um in 3D-Dateien genuin selbst solche Fußnoten-artigen Anmerkungen einzubauen – diese werden aber in der Praxis kaum verwendet. Ein gutes Beispiel für mögliche Standards (insbesondere im Hinblick auf Nachnutzbarkeit und Langzeitdatenspeicherung) bietet das IANUS-Projekt des Deutschen Archäologischen Instituts, basierend auf der „Londoner Charter für die computergestützte Visualisierung von kulturellem Erbe“ von 2009; aber selbst das DAI schafft es nicht, diese Standards intern in seinen weltweit 18 Standorten einheitlich einzufordern und umzusetzen.