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Methoden der Quellenkritik

Keine Quelle ist ein objektives Zeugnis über die Vergangenheit: Texte von Augenzeugen sind von der subjektiven, sich verformenden Erinnerung bestimmt, andere Quellen sind oft viele Jahrhunderte nach den Ereignissen entstanden. Traditionsquellen, die bewusst Geschichtsschreibung betreiben, möchten ein bestimmtes Bild der beschriebenen Geschehnisse vermitteln.

Dieses Problem war auch schon den antiken Historikern bekannt, und es gehörte zum guten Ton, zu Beginn eines Geschichtswerkes die eigenen Quellen und vor allem die eigene Suche nach einer objektiven Berichterstattung zu betonen. So schreibt der Alexander-Historiker Arrian im 2. Jhd. n. Chr. (Arr. an. 1, pr. 2):

„Aber mir sind für meine Darstellungen Ptolemaios und Aristobulos glaubwürdiger erschienen, der eine, weil er den Heereszug zusammen mit dem König Alexander gemacht hat, nämlich Aristobulos; Ptolemaios aber aus dem Grunde, weil es – abgesehen davon, dass er ebenfalls den Zug mitgemacht hat – für ihn als späteren König schimpflicher als für jeden anderen gewesen wäre, zu lügen; und gerade sie beide sind auch deshalb besonders glaubwürdig, weil für sie, die erst nach Alexanders Tod geschrieben haben, jeder Zwang wie auch jede Aussicht auf Belohnung fehlte, die Dinge anders darzustellen, als sie sich wirklich zugetragen haben.“

Arrian legt also Wert auf Augenzeugenberichte, die er als besonders glaubwürdig einschätzt. Wenn man aber bedenkt, dass der genannte Ptolemaios nach Alexanders Tod König über das zuvor von Alexander eroberte Ägypten wurde und diese Stellung mit der Nähe zu und der Nachfolge von Alexander begründete, dann hatte er sehr wohl Grund, Alexander nicht nur objektiv darzustellen. Eine reine Augenzeugenschaft ist also kein Garant für eine objektive Berichterstattung. Vielmehr ist immer auch nach den persönlichen Motiven des Zeitzeugen, seiner Nähe zu den beschriebenen Ereignissen, seine grundsätzlichen Einsichtsmöglichkeiten, Datum und Anlass der Niederschrift, etc. zu suchen.

Quellen müssen immer kritisch betrachtet werden, sie müssen einer sog. Quellenkritik unterzogen werden. Es ist nach dem Autor der Quelle zu fragen sowie danach, ob er selbst Zeitzeuge des Geschehens war oder nicht. Es ist zu fragen, wann und wo das Werk entstand und welche Einflüsse dies auf die Darstellung genommen haben könnte. Auch der Hintergrund des Verfassers kann seine Sicht auf die beschriebenen Ereignisse beeinflussen. So waren die Mehrzahl der antiken Geschichtsschreiber Männer aus der Oberschicht und hatten damit eine bestimmte Sicht auf die eigene Gesellschaft, die von anderen Gruppen nicht unbedingt geteilt werden musste. Und schließlich muss man fragen, welche Intention der Verfasser eines Werkes verfolgte. Denn das Beispiel des Ptolemaios hat ja bereits gezeigt, dass die Darstellungsabsicht auch die Darstellung an sich beeinflusst.

Viele antike Autoren schrieben Geschichtswerke oder Biographien (meist von Politikern), um die eigenen Zeitgenossen zu belehren und ihnen anhand von exempla, also Beispielen zu erklären, wie sie sich ein moralisch und politisch angemessenes Leben vorstellten. Damit unterwarfen sie ihre Darstellung einem bestimmten Konzept, das den Aussagegehalt ihrer Werke beeinflusste.

Außerdem entstanden in der Antike bald bestimmte Konventionen, wie historiographische Werke zu gestalten waren. Dazu gehörte der Versuch einer besonders lebhaften Darstellung etwa durch das Einfügen von – meist fiktiven – Reden beteiligter Persönlichkeiten und eine besondere stilistische Gestaltung der Werke, bei der aus kompositorischen Gründen auch die tatsächliche Ereigniskette vernachlässigt werden konnte. Zwar findet sich bei einigen antiken Autoren Kritik an diesem Vorgehen, doch bedeutet das nicht, dass die kritisierenden Autoren dann auch wirklich anders gearbeitet hätten. Antike Historiker und Biographen waren keine Wissenschaftler in unserem Sinne.

Das bedeutet nun aber nicht, dass man antiken Autoren grundsätzlich nichts glauben sollte – es bedeutet lediglich, dass man mögliche Verzerrungen beschriebener Ereignisse oder Charaktere durch die Überlieferung oder die Intention des Autors im Hinterkopf behalten muss, wenn man mit Quellen arbeitet.