Religion und Mythologie (6)
Religion und Mythologie gehören in der Regel auch in den Bereich der Philologie. Religion ist für Historiker ein Ausdruck der jeweiligen Gesellschaft, ihres Denkens und Handelns. Kult und Ritual stehen in ihrem Mittelpunkt, keine Dogmen oder heiligen Schriften. In aller Regel sind die Kulte Angelegenheiten der Gemeinschaften: von Staaten- oder Stammesbünden, von Poleis und deren Untergruppen, mag es sich dabei um ihre Einheiten handeln (Phylen, Demen, Gene etc.), um freiwillige Zusammenschlüsse (Kultvereine) oder das Leben im privaten Raum (Familie, Individuum). Der gemeinsame Kult ist eine der wesentlichen Formen, in denen sich die Zusammengehörigkeit dieser Gruppen bildet, manifestiert und festigt. Kult und Religion sind also nicht wirklich zu trennen.
Mythologie dient immer wieder als Begründung und Rechtfertigung dieser Rituale. Davon abgesehen aber sind solide Kenntnisse der Mythologie nötig, um Anspielungen in der Literatur zu verstehen (ein Beispiel: die Entwicklung der Menschen ist eine Entwicklung vom goldenen Zeitalter zum silbernen, zum bronzenen und eisernen – was als Niedergang verstanden wird. In der goldenen Zeit herrschte Kronos, lat. Saturn, und wenn es später heißt „redeunt Saturnia regna“, so wird ein Neuanfang, eine Rückkehr zu idealen Zuständen versprochen). Ebenso lässt sich die Ikonographie nicht ohne Kenntnis der Mythologie entschlüsseln – und natürlich gibt es in der Antike politische Architektur und Bildersprache, die nur mit Rekurs auf Mythen zu verstehen sind.
In der Spätantike setzt sich dann eine Entwicklung durch, die zu einer weitgehend christlichen Gesellschaft führt. Neben die Mythologie tritt nun die Bibel, und die Kenntnisse christlicher Theologie – und ihrer Differenzen – sind unerlässlich, um die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu verstehen.
Literaturhinweise
W. Burkert, Griechische Religion der archaischen u. klassischen Epoche, Stuttgart 22011
M. Beard/J. North/S. Price, Religions of Rome, 2 Bde., Cambridge 1998
H. Rose, Griechische Mythologie: ein Handbuch, München 1974