Lateinamerika
Stefan Rinke
Was ist LA? Handelt es sich um einen Kontinent oder den Teil eines Doppelkontinents? Wo sind die Grenzen? Die Antworten auf diese Frage fallen je nach Standpunkt und Herkunft des Betrachters sehr unterschiedlich aus. Für manche fängt die Region heute in den Latinovierteln nordamerik. Großstädte wie Chicago oder New York (Latinos) an und hört in der Antarktis auf. Andere wiederum lehnen die Begrifflichkeit aus unterschiedlichen Gründen völlig ab.
Historisch gesehen gaben die Spanier, die die „Neue Welt“ seit dem späten 15. Jh. neu entdeckten, der Region den Namen „Indias“ getreu dem Glauben des Kolumbus, Indien vorgelagerte Inseln entdeckt zu haben. Diese Bezeichnung hielt sich während der gesamten Kolonialzeit und in Wendungen wie „Westindien“ auch darüber hinaus. Doch schon 1507 erfanden Humanisten den neuen Namen „Amerika“ der auf Martin Waldseemüllers berühmter Weltkarte und in der dazugehörigen Cosmographiae Introductio erschien. Der Name „Amerika“, nach Amerigo Vespucci, bezeichnete die neuen Länder im Westen und stand für die Erkenntnis um deren Kontinentalcharakter. Anfangs bezog er sich auf den Bereich der Karibik, Zentralamerika- und Teile Südamerikas. Mit der fortschreitenden Besiedlung des Nordens durch Engländer und andere Europäer weiteten sich die Bezüge auf den gesamten Doppelkontinent aus. Gleichzeitig wurden zunehmend amerik. Stimmen in den Diskussionen um das Wesen Amerikas und damit auch um die Bedeutung des Begriffs laut. Mit der US-amerik. Revolution und dem Aufstieg der Vereinigten Staaten änderte sich die Lage insofern, als die Bezeichnung „Amerika“in vielen europäischen Sprachen zum Synonym für die USA wurde. Was aber blieb dann für das südl. Amerika? Kulturell negativ besetzte Begriffe wie „Hispano“ oder „Ibero“Amerika kamen aufgrund der Abgrenzungsbemühungen von der alten Kolonialmacht zunächst nicht infrage. Die neue Namensgebung „Lateinamerika“ erfolgte vielmehr im Geist der von Frankreich ausgehenden Idee der Einheit der „lateinischen“ Völker (Panlatinismus) um die Mitte des 19. Jhs. Der Name war wie der Orient eine Erfindung, freilich keine rein europäische, denn sie wurde von Lateinamerikanern konzipiert. Im 20. Jh. begann sich die strenge Scheidung von Amerika und LA aufzulösen, je mehr sich durch die neue Globalisierung die Grenzen verwischten.
Literaturhinweise
U. Lehmkuhl, S. Rinke (Hg.): Amerika – Amerikas: Zur Geschichte eines Namens von 1507 bis zur Gegenwart, Stuttgart 2008.