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Migration

José C. Moya

M. ist einer der vier Mechanismen menschlicher Evolution und der Ursprung der Verbreitung unserer Spezies auf dem Planeten. Schon dieses erste menschliche Verhalten hat eine besonders wichtige Rolle in der historischen Entstehung LAs und den Amerikas i.Allg. gehabt.

Mehr als in den meisten anderen Teilen der Erde bestand die einheimische Bev. in LA aus Immigranten. Sie kamen nicht als homo sapiens, der aus unserer afrikan. Wiege auszog, sondern als nordostasiatische Immigranten, sowohl phänotypisch als auch kulturell, und sie taten dies ungefähr 30.000 Jahre später als auf anderen Kontinenten (ca. 15.000 Jahre v. Chr.). Ihre späte Ankunft erklärt viele der demographischen Eigenschaften der indigenen Bev., auf die die Europäer nach 1492 stießen. Diese Population war kleiner und weniger dicht als in Eurasien und Afrika; weniger ausgebreitet – über zwei Drittel lebten im Kern Amerikas, ein Gebiet, das nur 9% der Hemisphäre ausmacht; mit wenigen Kontakten zwischen Süd- und Nordamerika; mit größeren Lücken in der sozioökonomischen Entwicklung – Kulturen der Bronzezeit in Mesoamerika und den zentralen Anden grenzten an paläolithische Gruppen; fast vollkommen isoliert vom Rest der Welt. All diese Charakteristika helfen, den starken Einfluss zu erklären, den die nach 1492 Ankommenden auf die westl. Hemisphäre hatten.

Bis zur Mitte des 19. Jhs. stammte der größte Teil dieser Ankommenden aus Afrika, insbesondere aus Angola und von der nordwestl. Küste zwischen Senegal und Kamerun. Elf Mio. Afrikaner erreichten die Neue Welt zwischen 1492 und 1850, also dreimal so viele Afrikaner wie Europäer. Während des ersten Jhs. des Sklavenhandels wurden die meisten Afrikaner zum Arbeiten in die Silberminen von Mexiko und Peru geschickt. In dieser Zeit kamen aber weniger als 3% der Sklaven insg. in den Amerikas an. Sie bildeten deshalb eine kleine Minderheit, die von der indigenen Bev. des Hochlandes absorbiert wurde und nur wenige Spuren hinterließ. Auch wenn Sklaven über die gesamte Hemisphäre verstreut wurden, fanden sich doch 95% im tropischen oder semitropischen Flachland der Amerikas, auf Inseln oder nicht weiter als hundert Kilometer von der Küste oder von schiffbaren Flüssen entfernt. Dort wurden tropische, auf dem europ. Markt nachgefragte Güter – Zuckerrohr, Kakao, Baumwolle – angebaut und konnten einfach transportiert werden. Die anfangs in diesen Gebieten lebende kleine indigene Bev. war z. gr. T. durch Krankheiten und die Eroberung vernichtet worden.

Dies verstärkte den demographischen und kulturellen Einfluss der Ankommenden und half, diejenige Region zu formen, die als Afroamerika bezeichnet wird. Diese nicht zusammenhängende soziokulturelle Region umfasst das Mississippidelta und die südl. Küste der USA, die Antillen, Teile der Karibikküste Zentralamerikas, Kolumbiens (zwischen Cartagena und Santa Marta) und Venezuelas (zwischen Coro und Barlovento); die Pazifikküste von Kolumbien, Ecuador (insbesondere die Provinz Esmeraldas) und Peru (hauptsächlich zwischen Cañete und Callao an der Südküste und Lambayeque und Piura an der Nordküste) sowie den Nordosten Brasiliens. Der Anteil von Afroamerikaner/innen an der Bev. dieser Regionen betrug in Gebieten wie dem Süden der USA, dem Hochland von Puerto Rico und Kuba, abgesehen vom Osten und Matanzas, weniger als ein Drittel. Ansonsten machten sie jedoch die Mehrheit aus und prägten die Populärkultur dieser Regionen, v. a. die Musik.

Insgesamt wurden 39% aller afrikanischen Sklaven nach Brasilien (70% von ihnen waren Bantu sprechende Menschen aus Angola und Mozambique), 44% in die britische, franz. und niederländische Karibik, 4% in die USA und 13% nach Hispanoamerika gebracht. Diese Zahlen bilden aufgrund unterschiedlicher Ankunftszeiten und Fortpflanzungsraten nicht zwangsläufig die Größe der afroamerik. Bev. ab. In den meisten spanischamerik. Regionen trafen die schwarzen Sklaven vor dem 18. Jh. ein und wurden bis zum 19. Jh. freigelassen, wohingegen die meisten Afrikaner Kuba während des 19. Jhs. erreichten. Die späte Ankunft erklärt die bessere Sichtbarkeit afrikanischer ethnischer Kulturen in Kuba und Brasilien, die zusammen mehr als Dreiviertel des Sklavenhandels während des 19. Jhs. aufnahmen (Afroamerikaner, afro­amerikanische Religionen).

Europäer kamen während der Kolonialzeit in kleinerer Anzahl, jedoch hatten sie aufgrund ihrer größeren Macht und geographischen Ausbreitung einen stärkeren Einfluss. Nahezu 1 Mio. Spanier und ca. 750.000 Portugiesen erreichten LA zwischen 1500 und 1820. Ihr Einfluss übertrifft den der meisten anderen Gruppen in der langen Geschichte der Imperien und Kolonialisierung. Auf der elementarsten oder ökologischsten Ebene brachte diese menschliche M. andere Organismen aller Größen mit sich, die die lokale Flora und Fauna veränderten. Getreide und Gemüsepflanzen ebenso wie viele Haustiere und eine Vielzahl anderer Pflanzen und Tiere wurden von den Spaniern in die westl. Hemisphäre eingeführt. Ratten, Pocken, andere Krankheitserreger und die meisten der ungewollten Gräser oder „Unkräuter“ in den Amerikas schlossen sich an. Diese Transformation der Flora und Fauna hatte weitreichende demographische, ökonomische und soziale Konsequenzen. Viren aus der alten Welt, gegen die die indigene Bev. keine Abwehrkräfte besaß, dezimierten sie. Die neuen Nutztiere und Nahrungspflanzen ermöglichten eine extensive Landwirtschaft und Großgrundbesitz. Das Zuckerrohr hatte eine ähnliche Wirkung auf das tropische Flachland. Rinder und Pferde bildeten die Voraussetzung der Entstehung von Viehwirtschaft und den damit zusammenhängenden Kulturtypen des amerik. Flachlandes, von den gauchos der Río-de-la-Plata-Region und den llaneros Venezuelas bis zu den charros Nordmexikos.

Postkoloniale Immigration Die Unabhängigkeit der iberischen Kolonien auf dem amerik. Festland hob die imperialen Restriktionen bei der Immigration auf und führte zu einem erheblichen Zustrom europ. Söldner, Händler, Handwerker und Bauern. Während der Frühzeit konzentrierten sich die meisten Einwanderer in den Städten des Río de la Plata. 1840 waren etwa 60% der 31.000 Ew. Montevideos im Ausland geboren, von den 91.000 Ew. Buenos Aires’ kam 1855 ein Drittel aus dem Ausland, und zwar v. a. aus Italien, Frankreich, Spanien und Großbritannien. Bauern aus Deutschland ließen sich im Süden Brasiliens und der Pampa nieder. Zwischen 1816 und 1850 kamen geschätzte 200.000 Europäer nach Argentinien, Uruguay und Brasilien und etwa 50.000 hauptsächlich aus Spanien kommende Europäer gingen nach Kuba.

Der zunächst langsam ansteigende Zustrom wurde zwischen den 1870er- und 1920er-Jahren zu einer Welle, als circa 13,6 Mio. Europäer LA erreichten. Nach einer Pause während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren und dem 2. WK immigrierten bis in die 1960er-Jahre weitere 3 Mio. Europäer. 40% davon kamen aus Italien, 32% aus Spanien, 11% aus Portugal, 3% aus Deutschland und der Rest waren Franzosen, ost-europ. Juden oder kam aus anderen Teilen Europas. Argentinien nahm 48% aller Immigranten auf, Brasilien 32%, Kuba 9% und Uruguay 5%, gefolgt von Chile und, vorwiegend nach dem 2. WK, Venezuela. Insgesamt endete ein Viertelder europ. Überseeauswanderung in LA.

Aus Asien kamen ca. 410.000 Einwanderer, noch weniger aus der Levante. Sie waren hauptsächlich Armenier und christliche Siriolibanesen und Palästinenser – mit einer kleinen sephardischen, mizrachimischen und muslimischen Minderheit –, die überwiegend im Handel tätig waren. Etwa 175.000 gingen nach Argentinien, 95.000 nach Brasilien und 70.000 in andere Gebiete. Von China wurden circa 400.000 Emigranten überwiegend nach Kuba und Peru geschickt. Im 19. Jh. waren sie als coolies in Vertragsarbeitsverhältnissen, die der Sklaverei in vielen Punkten ähnelten. Im 20. Jh. kamen sie hingegen als freie Arbeiter. Die chinesischen Migranten waren vorwiegend männlich, was die Entstehung chinesischer Gemeinden beschränkte. Die Japaner kamen später (1900–1965), 240.000 gingen nach Brasilien, 30.000 nach Peru und ein kleinerer Teil nach Mexiko, Argentinien und Bolivien. Da sie, anders als die Chinesen, in Familiengruppen kamen, um in landwirtschaftlichen Kolonien zu arbeiten, war ihre Fortpflanzungsrate mit geschätzten 1,5 Mio. japanischen Nachkommen allein im Süden Brasiliens sehr viel höher. In den 1960er-Jahren begannen Koreaner nach LA zu wandern und während der folgenden drei oder vier Jahrzehnte erreichten ca. 200.000 von ihnen Brasilien, 100.000 Argentinien und ein kleinerer Teil Mexiko, Paraguay und Guatemala.

Weitere wichtige internationale Migrationsbewegungen bewegten sich innerhalb des Amerikas südl. des Rio Grande. Während der ersten Hälfte des 20. Jhs. bestanden die Hauptbewegungen aus englischsprachigen Westindern (vorwiegend aus Barbados und Jamaika) nach Panama, an die Atlantikküste Costa Ricas und nach Kuba sowie aus Haitianern in die Dominikanische Republik und nach Kuba. Sie waren hauptsächlich Arbeiter, die beim Bau des Panamakanals oder auf Zucker- und Bananenplantagen hart arbeiteten und, im Falle der Haitianer, schroff behandelt wurden. Das Massaker an etwa 10.000 haitianischen Immigranten in der Dominikanischen Republik 1937 gilt als der blutigste Fall xenophober Gewalt in den Amerikas. Nach dem 2. WK endete diese M. außer derjenigen von Haitianern in die Dominikanische Republik. Doch kamen andere Bewegungen innerhalb LAs auf. Die zwei größten Strömungen entstanden zwischen Nachbarländern, viele Paraguayer und Bolivianer gingen nach Argentinien und später nach Brasilien, Kolumbianer wanderten nach Venezuela und später nach Ecuador. Da die meisten dieser M. nicht offiziell waren, sind genaue Zahlen unzuverlässig. Die Anzahl illegaler Einwanderer in Argentinien und Venezuela wird jedoch auf etwa 2 Mio. geschätzt. Nicaraguaner wandern häufig in das wohlhabendere Costa Rica. Laut dem letzten Zensus von 2011 lebten 300.000 Nicaraguaner offiziell dort, hinzu kommt eine weit höhere Zahl ohne offiziellen Aufenthaltsstatus sowie Saisonarbeiter, die zeitweise in Costa Rica leben. Die M. von Guatemala nach Mexiko war besonders während des guatemaltekischen Bürgerkriegs sehr stark. Wegen der Wohlstandsunterschiede zwischen beiden Ländern wandern aber weiterhin viele Guatemalteken nach Mexiko, häufig ohne Papiere und teilw. sind sie als Wanderarbeiter unterwegs. Für 2005 wird geschätzt, dass fast 2 Mio. Menschen die Grenze zwischen Guatemala und Mexiko überschritten, von denen 57% guatemaltekischer Herkunft waren. Viele von diesen Migranten sind in Mexiko allerdings auf der Durchreise, weil sie weiter in die USA wollen. 2009 lebten etwa 130.000 Peruaner und fast 25.000 Bolivianer in Chile. Von der Dominikanischen Republik besteht seit einigen Jahren eine M. nach Puerto Rico, 2000 befanden sich über 60.000 Dominikaner auf der Nachbarinsel.

Neben der Migration in die Nachbarländer verstärkte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. in vielen lateinamerik. Ländern die – schwer zu quantifizierende – Binnenmigration, die erheblich mit zum Anwachsen der Städte und der Entstehung der Metropolen und Megastädte beitrug (Stadt). Die Ursache dieser Binnenmigration lag in dem allgemeinen Wachstum der Bev., dem die soziale und ökonomische Absicherung nicht entsprach. Weniger die Lohndifferenzen zwischen Stadt und Land als vielmehr schlecht funktionierende Kapital- und Versicherungsmärkte führten häufig zu der Entscheidung, in die Stadt zu wandern. Diese Entscheidungen fielen und fallen in der Regel nicht auf individueller Ebene, sie sind vielmehr Teil einer Familienstrategie. Dies ermöglicht für die Beteiligten eine Risikoverminderung und Einkommenspooling. Der Wanderungsprozess verlief häufig über mehrere Etappen erst in nahegelegene Städte mittlerer Größe und von dort weiter in Metropolen. Die Städte bildeten dann oft das Sprungbrett für eine Auswanderung. Dies hat sich in letzter Zeit allerdings geändert, jetzt findet internationale Migration häufig direkt vom Dorf in ein anderes Land statt.

Von den postkolonialen Einwanderungsbewegungen war die aus Europa die mit Abstand größte und folgenreichste. Die nahezu 17 Mio. Europäer, die seit 1820 nach LA kamen, machten zwei Drittel aller Einwanderer in die Region aus. Hinter dieser M. standen global wirkende Transformationen: die demographische und industrielle Revolutionen in Europa, das Wachstum der kapitalistischen Landwirtschaft und des transatlantischen Handels, das Aufkommen von Massenkommunikation und -transport.

Die Folgen waren ebenso weitreichend. Sie kehrten die ökonomische Rangfolge in den Amerikas um, indem sie die ärmsten Kolonien in die reichsten Länder verwandelten. Vor 1800 waren die wohlhabendsten Orte in der Neuen Welt Kolonien, deren Wirtschaften auf dem Silberbergbau und indigener Arbeitskraft oder Plantagenwirtschaften basierten. Mexiko und Peru waren die Juwelen des span. Imperiums. Barbados und Saint-Domingue produzierten mehr Wohlstand für Großbritannien und Frankreich als deren riesige Besitztümer in Nordamerika. 1800 befanden sich 43 von den 50 der weltweit größten Städte in der Neuen Welt und 11 von den größten 12 befanden sich in diesen Kolonien (Stadt). Bis 1910 befanden sich 45 der 50 größten und die größten zwölf in Regionen mit europ. Immigration. Die fünf am stärksten urbanisierten Länder waren Uruguay, Kuba, Argentinien, die USA und Kanada in dieser Reihenfolge. Diese Länder sowie Südbrasilien und Chile waren nun zwischen vier- und zehnmal reicher als die Länder in Afro- und Indoamerika. In Argentinien und Uruguay überstieg das BIP pro Kopf das der meisten europ. Länder inklusive Deutschlands und Norwegens. Hohe Löhne und die Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs, die diese expandierenden Wirtschaften boten, zogen Mio. von Europäern an, die den Atlantik überquerten. Wirtschaftswachstum und der Mangel an Arbeitskräften schürte die Löhne in den Empfangsregionen der Amerikas und hohe Löhne wiederum bestärkten die Arbeiter, sich zu organisieren und trieben weiteres nachfrageorientiertes Wirtschaftswachstum an. Die Städte in Ostargentinien, Uruguay, Südbrasilien, Kuba entwickelten einige der größten Arbeiterbewegungen der Welt (Gewerkschaften). 1910 übertrafen die anarchistischen Aktivitäten in Buenos Aires diejenigen in Barcelona und Paris. Die Arbeiterklasse wurde politisch relevant und erhielt mehr Einflussmöglichkeiten. Dazu trugen Wahlen bei, aber auch andere Mechanismen wie Klientelismus, politische Maschinen, Arbeitsgesetzgebung, Sozialpolitik und korporatistische Staaten.

Die Modernität verlagerte sich nicht nur räumlich, sondern auch in ihren Inhalten. In den Regionen der neuen europ. Einwanderung fand in der Wirtschaft ein Wandel zu einem System statt, das nicht nur im Hinblick auf den Warentausch und Handel kapitalistisch war – wie im alten kolonialen Kern –, sondern auch hinsichtlich der sozialen Produktionsbedingungen, die nun auf freier Arbeit anstatt auf Sklaverei und Zwangsvereinbarungen basierten. Unter diesen Bedingungen erlangte wirtschaftliches Wachstum eine stärkere Verbindung zur sozialen Wohlfahrt. Die Regionen europ. Einwanderung hatten in LA den höchsten Grad an Bürgerbeteiligungen in Arbeitervereinen und anderen freiwilligen Organisationen; die frühesten und umfassendsten Formen politischer Partizipation; die höchsten Ernährungsstände; die höchste Lebenserwartung und niedrigste Sterberate; die höchsten Raten bei der Volksbeteiligung im Banken- und Sparwesen; die höchsten Alphabetisierungsraten und die höchsten Pro-Kopf-Raten bei Druckerzeugnissen, Theaterauftritten, Sportclubs und –aktivitäten und anderen kulturellen Gütern. Diese Regionen repräsentierten die ersten Massengesellschaften LAs. Wirtschaftliche und sozio-kulturelle Ressourcen waren dort nicht nur reichlicher, sondern auch gleichmäßiger verteilt. Und obwohl die Kluft zwischen den Regionen europ. Einwanderung und anderen lateinamerik. Ländern in den letzten Jahrzehnten schmaler geworden ist, besteht sie noch immer. Diejenigen Länder und Regionen, die bis 1900 durch die Einwanderung zu den urbansten und sozial am weitesten entwickelten geworden waren (Ostargentinien, Uruguay, Südbrasilien, Kuba und in kleinerem Maße Chile und Costa Rica), sind dies heute noch immer. In Bezug auf Alphabetisierung, Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Ernährung und andere Indikatoren für sozialen Wohlstand liegen sie weiterhin dichter an Europa (aktuell auf der Ebene osteuropäischer Länder wie Polen) als an den ärmeren lateinamerik. Ländern (Ungleichheiten/Sozialstruktur).

Vom Einwanderungs- zum Auswanderungskontinent Die Emigration aus LA war für lange Zeit auf die Rückkehr europ. Immigranten in ihre Heimat beschränkt. Die erste tatsächliche Abwanderung aus der Region begann in der zwei­ten Hälfte des 19. Jhs. Mexikaner zogen nach Norden über die Grenze, die nach dem Mexikanisch-Amerikanischen Krieg vom Rio Grande gebildet wurde. Bis 1900 lebten etwa 100.000 Menschen mex. Herkunft oder Abstammung in den USA. Die Mex. Revolution ließ diese Zahl bis 1930 auf 1,5 Mio. anwachsen. Die andere bedeutende frühe Abwanderung bestand aus kubanischen Zigarrenarbeitern, die sich in Key West und Tampa (Florida) niederließen, sowie einer berufsbedingt gemischteren Gruppe, die nach New York ging. In den 1940er-Jahren begannen Puerto Ricaner in großer Zahl auf das Festland umzuziehen. Die Kubanische Revolution von 1960 drängte während des nächsten halben Jhs. mehr als 1 Mio. Menschen hauptsächlich nach Miami ab, mit kleineren Strömungen, die nach New Jersey, Puerto Rico und Spanien gingen (Latinos, transnationale Gemeinden).

Seit den 1970er-Jahren hat die lateinamerik. M. in die USA diverse Veränderungen erlebt. Eine davon war eine massive Woge, die die hispanische Bev. im Land von 9 Mio. 1970 auf 52 Mio. 2011 mehr als verfünffachte. Eine zweite war eine Erweiterung der nationalen Abstammungen mit Dominikanern, Kolumbianern, Zentralamerikanern, Ecuadorianern und anderen Gruppen, die sich den bereits länger etablierten Mexikanern, Kubanern und Puerto Ricanern anschlossen. In Mexiko wurde die Auswanderung in ihren Ursprüngen immer südl. und folglich indigener. Die Diversifizierung der nationalen Abstammungen veränderte wiederum ihrerseits den sozioökonomischen Status von Latinos. Die Gruppe als Ganzes zählt zu den ärmsten in den USA. Doch gibt es bedeutende Unterschiede. Kubaner und Migranten aus dem südl. Südamerika sind besser ausgebildet und wohlhabender als die US-Indianer, wohingegen Mexikaner und Zentralamerikaner sehr viel ärmer und weniger gebildet sind. Seit den 1990er­Jahren hat sich auch die regionale Verteilung der hispanischen Bev. gewandelt. Sie sind nun nicht nur in den traditionellen Ballungsräumen im Südwesten, Südflorida und der Metropolregion New York zu finden, sondern im ganzen Land.

Seit den 1990er-Jahren haben sich lateinamerik. Emigranten außerdem global verbreitet. Bis dahin war die Auswanderung nach Europa hauptsächlich beschränkt auf politische Vertriebene (Kubaner in den 1960er-Jahren und Chilenen und Argentinier während der 1970er), die vorwiegend einen mittelständischen Hintergrund und europ. Vorfahren hatten. Seit Mitte der 1990er-Jahre wurde dieser Strom massiver und vielfältiger hinsichtlich der sozialen und ethnischen Zugehörigkeiten, da die Andenländer der Hauptausgangspunkt wurden. Bis 2010 lebten 2,2 Mio. lateinamerik. Einwanderer in Europa, die meisten in Spanien (1.400.000), gefolgt von Italien (220.000), dem Vereinigten Königreich (150.000), Deutschland (125.000), Portugal (90.000) und Frankreich (75.000). Frauen stellten in dieser M. die Mehrheit dar, was der M. aus Osteuropa und von den Philippinen ähnelte und im Kontrast stand zum Großteil der vorwiegend männl. geprägten M. aus Asien und Afrika. Der europäisierte Charakter lateinamerik. Kultur in Bezug auf Sprache, Religion und Gewohnheiten scheint die Integration von Immigranten erleichtert und die Xenophobie gegen sie abgemildert zu haben, zumindest im Vergleich mit muslimischen Einwanderern, anderen Afrikanern und Asiaten und den Roma.

Die lateinamerik. Diaspora hat sich auch über Europa hinaus ausgebreitet. 2007 gab es in Australien 75.000 Latinos, ein Drittel von ihnen kam aus Chile, ein weiteres Drittel aus den Ländern des Río de la Plata. 2005 lebten in Japan 430.000 Lateinamerikaner, 82% von ihnen Brasilianer japanischer Herkunft, die in den späten 1980er-Jahren auszuwandern begannen, um Arbeitsplätze in japanischen Fabriken zu besetzen, und 14% Peruaner mit derselben ethnischen Herkunft. Seither nahm diese Bev. aufgrund der Rückkehr nach Brasilien während seines wirtschaftlichen Booms ab. Während der zweiten Hälfte des 20. Jhs. migrierten mehr als 100.000 Lateinamerikaner nach Israel. Sie waren überwiegend argentinische, brasilianische und uruguayische Juden, die tendenziell mittelständischer Herkunft, besser ausgebildet als die Israelis und in der Gastgesellschaft als „Westliche Juden“ hoch angesehen waren, wodurch sie sich relativ leicht einfinden konnten. Seit den späten 1990er-Jahren hat Israel auch mehr als 50.000 Immigranten aus den Andenländern aufgenommen, die nicht jüdisch, oftmals nicht weiß und überwiegend nicht dokumentiert sind. Die meisten Frauen und 40% der Männer in dieser Gruppe arbeiten als nikyoneros (eine Mischung aus hebräisch und spanisch, grob übersetzt als „Reinigungstypen“). Der Rest arbeitet hauptsächlich in der Bauindustrie, in Fabriken und Restaurants. Doch trotz ihrer niedrigeren Stellung haben sie sich mit ziemlichem Erfolg an ihre neue Umgebung angepasst – eine Fähigkeit, die die lateinamerik. Diaspora generell zu charakterisieren scheint.

Literaturhinweise

I. Altman, J. Horn (Hg.): „To Make America”: European Emigration in the Early Modern Period, Berkeley 1991; M. Mörner, H. Sims: Adventurers and Proletarians: The Story of Migrants in Latin America, Pittsburgh 1985; J. C. Moya: A Continent of Immigrants: Postcolonial Shifts in the Western Hemisphere, in: Hispanic American Historical Review 86,1 (2006), 1–28.

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