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Die „akademische Ausländerfrage“ in Deutschland in der Wahrnehmung russländischer Studenten

Die „akademische Ausländerfrage“

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Sowohl die russische als auch die deutsche Historiografie widmet der russländischen Bildungsmigration nach Deutschland nach wie vor viel Aufmerksamkeit. Die sogenannte „akademische Ausländerfrage“ ist dabei ein fester Bestandteil dieses Phänomens, wenngleich die Forschung gerade in dieser Frage immer noch viele Lücken aufweist. <footnote data-id="fn1" data-anchor="anmerkung1">[1]</footnote> Es wäre kaum möglich, diese Desiderate im begrenzten Rahmen eines Aufsatzes aufzuarbeiten. Hier kann nur auf einige offene Fragen hingewiesen werden, die in einem angemessenen Umfang ausführlicher erforscht werden sollten.

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Die „akademische Ausländerfrage“ gelangte spätestens seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts immer wieder – wenngleich mit unterschiedlicher Intensität – auf die Tagesordnung deutscher Universitätsbehörden und zuständigen Ministerien, wurde aber auch in der Öffentlichkeit kontrovers ausgetragen. Oberflächlich betrachtet waren vor allem die liberalen Immatrikulations- und Prüfungsbestimmungen für Ausländer, ihre vermeintlich ungenügenden Sprachkenntnisse und Vorbildung sowie die überfüllten Hörsäle und Laboratorien an den Hochschulen Anlässe, die den Konflikt mit ausländischen Studierenden immer wieder neu entfachten. Im Falle der russländischen Studenten sorgten zudem die mit ihren „revolutionären Umtrieben“ verbundenen Vorurteile sowohl auf politischer Ebene, als auch im öffentlichen Raum für große Resonanz. Bei einer genaueren Betrachtung offenbaren sich aber auch weitere Gründe, wie etwa offene oder auch latente antirussische, antislawische, oft aber auch antisemitische Stimmungen unter der deutschen Studentenschaft, die der „akademischen Ausländerfrage“ zusätzliche politische Brisanz verliehen.

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Grundsätzlich können in den Debatten über die „akademische Ausländerfrage“ drei Ebenen unterschieden werden: Ausschlaggebend in der Diskussion war zunächst einmal die politische Ebene in Deutschland, namentlich die Kultus-, Innen- und Finanzministerien sowie die Universitätsbehörden, die sich in unterschiedlichen Zusammenhängen für die in Deutschland studierenden Ausländer zuständig fühlten. Auf dieser Ebene fand die Diskussion über die „akademische Ausländerfrage“ im Rahmen der staatlichen Regelungen bzw. Kontrollen statt, die den Zustrom dieser im Falle von Russländern „unerwünschten Elemente“ an deutschen Hochschulen regeln sollten. Dabei sahen die Universitäten – im großen Unterschied zu offiziellen politischen Positionen – eine Verschärfung der Aufnahmebedingungen für Ausländer eher als Nachteil für die deutsche Wissenschaft insgesamt und für die akademische Freiheit im Besonderen.

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Die zweite Ebene war die öffentliche Auseinandersetzung mit dieser Frage, die sowohl die studentische, als auch die Tagespresse als Sprachrohr benutzte. Hier reichte die Spannweite der Diskussionen von der Betonung des wirtschaftlichen und kulturellen Nutzens für Deutschland, den die Anwesenheit der Ausländer mit sich bringen würde, bis hin zur offenen Ausländerfeindlichkeit. Vor allem Letztere speiste sich dabei häufig aus den gegenüber den „Russen“ verbreiteten Stereotypen.

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Die dritte Ebene stellt die Beurteilung des Streits durch die betroffenen Studenten selbst dar und wie sie ihn in ihrer eigenen Periodika reflektierten. Die prompte Reaktion russischer studentischer Kolonien war nicht nur darauf gerichtet, die akademischen Rechte ihrer Landsleute aufrecht zu erhalten, sondern auch das Ansehen russländischer Studenten in der deutschen Öffentlichkeit zu verbessern. Dabei fühlte sich diese Gruppe in der Verteidigung der eigenen akademischen Interessen von der russischen Politik wie Öffentlichkeit weitgehend im Stich gelassen. Mehr noch, die offene „Denunziation“ eigener Untertanen als „revolutionäre Elemente“ sowie die enge Zusammenarbeit der russischen Polizei mit der deutschen sorgten nicht nur für scharfe Kritik. Die Verschlechterung ihrer akademischen Situation in Deutschland sahen viele eben in dieser abwertenden Haltung der eigenen Regierung begründet.

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Die russländische Studentenschaft in Deutschland stellte dabei keinesfalls ein homogenes Gebilde dar: Sie unterschied sich sowohl hinsichtlich der Nationalitäten und Glaubensrichtungen als auch in ihrer sozialen Zusammensetzung und ihren politischen Überzeugungen, wenngleich in Deutschland sie ungeachtet dieser Tatsache oft eindimensional als „Russen“ wahrgenommen wurden. Eine Differenzierung erfolgte meist nur, wenn es notwendig wurde, die eine oder andere Gruppe negativ wie häufig bei Juden oder Polen, oder aber positiv wie etwa bei den baltischen Studenten hervorzuheben. Der Verein Deutscher Chemiker beispielsweise benannte in einem Schreiben an den hohen Senat von 1914 jene Ausländer, deren übermäßige Zahl an deutschen Hochschulen nach Auffassung des Vereines ein Problem darstellte. So sahen sie in einer Mehrzahl schweizerischer oder österreichischer Studenten, oder aber Studenten aus den „germanischen“ Ländern wie Holländer, Dänen, Schweden und Norweger keine Gefahr und konstatierten: „Die Gefahr, die uns droht, kommt aus dem Osten.“ <footnote data-id="fn2" data-anchor="anmerkung2">[2]</footnote> Hierbei waren nicht nur unzureichenden Vorkenntnisse sondern auch Kulturunterschiede durchaus von Bedeutung, die diesen Ausländern nicht gestatteten, „zur Bildung unserer akademischen Jugend Nützliches beizutragen“ wie man es etwa von den Angelsachsen erwarten könnte. <footnote data-id="fn3" data-anchor="anmerkung3">[3]</footnote> Also bildeten „die starken Massen in denen sie [die russländischen Studenten] auftreten, Fremdkörper auf unseren Hochschulen. Von einer gegenseitigen günstigen Beeinflussung der Inländer und Ausländer, von einem Verstehen und Kennenlernen kann unter diesen Umständen durchaus nicht die Rede sein.“ <footnote data-id="fn4" data-anchor="anmerkung4">[4]</footnote>

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Seitens der russländischen Studenten, die die „akademische Ausländerfrage“ oft und bei verschiedenen Anlässen diskutierten, wurde die nationale Frage zweitrangig behandelt. Die Sorge galt zunächst jenen Landsleuten, die vor allem nach der Ersten russischen Revolution wegen der politischen Unruhen und der danach erfolgten Reaktion aus den russischen Hochschulen ausgeschlossen worden waren und gezwungen waren, das Studium im Ausland fortzusetzen. Alle Vorwürfe über ihre vermeintlich ungenügenden fachlichen Vorkenntnisse, über den Anforderungen nicht entsprechende, manchmal gar gefälschte Zeugnisse oder aber über unzureichende Kenntnisse der deutschen Sprache wiesen sie entschieden zurück. Dabei berief man sich auf die stets positive Beurteilung ihrer akademischen Vorbereitung von der deutsche Professur, die eigentlich einzig in der Lage sei, dies objektiv zu beurteilen. <footnote data-id="fn5" data-anchor="anmerkung5">[5]</footnote>
 

Anmerkungen

<footnote data-id="anmerkung1" data-anchor="fn1">[1]</footnote> Zu einigen Aspekten der „akademischen Ausländerfrage“ siehe exemplarisch: Peter, Hartmut Rüdiger: Politik und akademisches Ausländerstudium 1905-1913. Preußisches Beispiel und sächsisch-badische Variationen. In: Hartmut Rüdiger Peter / Natalia Tickohov (Hrsg): Universitäten als Brücken in Europa. Les universités: des ponts à trevers l’Europe. Studien zur Geschichte der studentischen Migration. Etudes sur l’histoire des migrations étudiantes. Frankfurt a. M. 2003, S. 175-194. Manitz, Irina: Die akademische „Ausländerfrage“ in russischsprachigen Periodika in Deutschland vor dem 1. Weltkrieg. Ebenda, S. 213-228. Klotzsche, Mario: Die „akademische Ausländerfrage“ in den Hochschulen. Ein Beitrag zur Untersuchung des öffentlichen Diskurses über Fremde an deutschen Hochschulen vor dem 1. Weltkrieg. Ebenda, S. 195-121. Ders.: Die Perzeption ausländischer Studenten durch die deutsche Studentenschaft und die „Ausländerfrage“. In: Hartmut Rüdiger Peter (Hrsg.): Schnorrer, Verschwörer, Bombenwerfer? Studenten aus dem Russischen Reich an deutschen Hochschulen vor dem 1. Weltkrieg. Frankfurt a. M. 2001. S. 117-142.

<footnote data-id="anmerkung2" data-anchor="fn2">[2]</footnote> Universitätsarchiv Freiburg, B1 / 2766.

<footnote data-id="anmerkung3" data-anchor="fn3">[3]</footnote> Ebenda.

<footnote data-id="anmerkung4" data-anchor="fn4">[4]</footnote> Ebenda.

<footnote data-id="anmerkung5" data-anchor="fn5">[5]</footnote> Studenčeskij Informacionnyj Listok, 1, 28.1.1913.