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Die „akademische Ausländerfrage“ in Deutschland in der Wahrnehmung russländischer Studenten

Russländische Studenten im Deutschland des 19. Jahrhunderts

Arpine Maniero

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Die akademische Migration aus dem Russischen Reich an westeuropäische, vor allem deutsche Universitäten, die bereits im 18. Jahrhunderts begonnen hatte, war seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts keine Seltenheit mehr und nahm um die Jahrhundertwende und bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges massenhaften Charakter an. Sowohl die Motivation und Ziele russländischer Studenten, als auch ihre soziale Zusammensetzung waren im Laufe dieser mehr als zwei Jahrhunderte andauernden Epoche deutlichem Wandel unterworfen. Dies war unter anderem der Tatsache geschuldet, dass die Grenzen des Russischen Imperiums im Laufe des 19. Jahrhunderts stark erweitert wurden, sodass sich sowohl das ethnisch-nationale Bild russländischer Studenten in Westeuropa als auch ihr sozialer Hintergrund stark veränderten. Der Zustrom russländischer Studenten war neben den unzureichenden Bildungsmöglichkeiten in der Heimat auch eine Folge der akademischen und politischen Einschränkungen, die den Zugang zu den russischen Hochschulen vor allem für die nationalen Minderheiten des Reiches wesentlich erschwerten. <footnote data-anchor="anmerkung1" data-id="fn1">[1]</footnote>

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Gerade diese Gruppe russischer Untertanen wurde aber auch in Deutschland nicht immer freundlich empfangen. Zwischen dem Selbstverständnis deutscher Universitäten als Bildungsstätte nationaler Eliten und der durch die Internationalisierung der Wissenschaft bedingten Bildungsmigration bestand durchaus ein Spannungsverhältnis, wobei sich eine konfliktgeladene Kontroverse vor allem gegen die akademischen Ausländer richtete. Eva Maria Auch brachte das Dilemma jener russländischer Studenten in Europa, die sich aus nationalen, religiösen oder auch politischen Gründen sowohl im Gast- als auch im Heimatland unverstanden fühlten, am Beispiel der muslimischen Studenten aus dem Kaukasus an westeuropäischen Universitäten prägnant auf den Punkt: „Wurden sie in Russland nie zu anerkannt gleichberechtigten Bürgern und blieben sie dort – trotz aller Anpassungsversuche – letztlich „Tataren“, wurden sie nun im Ausland zu „Russen“, während sie in der Heimat zunehmend zu Fremden wurden.“ <footnote data-anchor="anmerkung2" data-id="fn2">[2]</footnote> Hier wird auf ein wichtiges Problem des Auslandsstudiums bestimmter Gruppen russischer Untertanen hingewiesen, nämlich auf die Ablehnung, auf die sie im Ausland als „Russen“ und in der Heimat als „revolutionäre Elemente“ stießen. In Deutschland wurde dieser Integrationsprozess im Zuge der sogenannten „akademischen Ausländerfrage“ diskutiert.
 

Anmerkungen

<footnote data-anchor="fn1" data-id="anmerkung1">[1]</footnote> Zu solchen Hindernissen gehörten etwa die ungenügenden Kenntnisse der russischen Sprache, oder aber die Schwierigkeiten bei der Anerkennung der Zeugnisse nationaler Mittelschulen und Gymnasien.

<footnote data-anchor="fn2" data-id="anmerkung2">[2]</footnote> Auch, Eva-Maria: Wanderer zwischen Welten. Muslimische Bildungseliten in Kaukasus am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In: Dittmar Dahlmann / Reinhold Reith (Hrsg.): Elitenwanderung und Wissenstransfer im 19. und 20. Jahrhundert. Essen 2008. S. 181-206, hier 203.

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