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Deutschösterreichische Studenten im akademischen Kulturkampf 1859-1914

Deutschnationalismus und Antisemitismus

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Die Versatzstücke des deutschnationalen Denkens, insbesondere der Antisemitismus, fielen nicht vom Himmel, bzw. den Studenten in den Schoß. Auch waren die im Zuge des Jahres 1859 und der folgenden Jahre gegründeten Studentenorganisationen anfangs nicht judenfeindlich. <footnote data-id="fn1" data-anchor="anmerkung1">[1]</footnote> Der Mediziner Theodor Billroth, der an der Universität Wien lehrte, war 1875 als Vorreiter des Rassenantisemitismus aktiv. <footnote data-id="fn2" data-anchor="anmerkung2">[2]</footnote> Einflussreicher auf die Geisteshaltung der Studenten als ein einzelner Hochschullehrer wirkte jedoch die Schulbildung nach. So wurde der traditionelle Antisemitismus im Religionsunterricht vermittelt und wirkte so schon früh. <footnote data-id="fn3" data-anchor="anmerkung3">[3]</footnote> Als dieser durch die Schriften von Houston Stewart Chamberlain und Arthur Graf Gobineau noch wissenschaftlich erklärt wurde, wurde dieser nun nicht mehr religiöse Judenhass von den Studenten umso begeisterter aufgenommen. <footnote data-id="fn4" data-anchor="anmerkung4">[4]</footnote>

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Die Wiener Burschenschaft Libertas zog als erste Verbindung daraus Konsequenzen und verweigerte ab dem Wintersemester 1877/78 Juden die Aufnahme. 1885 folgte Olympia Wien diesem Vorbild. <footnote data-id="fn5" data-anchor="anmerkung5">[5]</footnote> Bis in die 1890er Jahre schwenkten alle studentischen Korporationen auf diesen Kurs ein. <footnote data-id="fn6" data-anchor="anmerkung6">[6]</footnote> Auch die zunächst noch kosmopolitisch und liberal ausgerichteten Corps konnten sich dem nicht entziehen. So verkündete das Corps Saxonia Wien im November 1894, auf dem antisemitischen Standpunkt zu stehen, und läutete so diese Entwicklung im Corpslager ein. <footnote data-id="fn7" data-anchor="anmerkung7">[7]</footnote> Bei den katholischen Verbindungen in Österreich hat es aufgrund des Religionsprinzips wohl ohnehin keine jüdischen Mitglieder gegeben. So ist ihnen denn auch trotz aller antiklerikalen Angriffe von Seiten der deutschnationalen Kommilitonen doch nie der Vorwurf der „Verjudung“ gemacht worden. <footnote data-id="fn8" data-anchor="anmerkung8">[8]</footnote>

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Während der Phase des Aufkommens der antisemitischen Tendenzen unter den Hochschülern fand der Politiker Georg Ritter von Schönerer in dieses Milieu. Er wurde Ende der 1870er Jahre durch den Politiker und Anwalt Julius Sylvester zu dessen Wiener Burschenschaft Teutonia gebracht, wo er in Kontakt zu den Studenten kam. Bald wandte sich Schönerer an die Wiener Libertas, wo er zudem Bekannte aus seiner Schulzeit fand, und von da an häufiger Gast bei studentischen Veranstaltungen wurde. <footnote data-id="fn9" data-anchor="anmerkung9">[9]</footnote> In der Forschung ist zwar strittig, ob Schönerer erst in diesen akademischen Kreisen zum fanatischen Antisemiten wurde oder ob er die Ideologie aus dem Deutschen Reich übernahm, <footnote data-id="fn10" data-anchor="anmerkung10">[10]</footnote> jedenfalls sollte er bald dessen bekanntester Vertreter in Österreich werden und die Studenten maßgeblich beeinflussen. Dazu trugen seine Radikalisierung bei, die mit wildesten Tiraden gegen seine „verjudeten“ Kritiker einhergingen, <footnote data-id="fn11" data-anchor="anmerkung11">[11]</footnote> und die neuheidnische Ersatzreligion, die er sich ab 1887 zusammenzimmerte. <footnote data-id="fn12" data-anchor="anmerkung12">[12]</footnote> In der Folge gelang es Schönerer gar, durch ein Treuegelöbnis einen Teil der Burschenschaften an sich zu binden, <footnote data-id="fn13" data-anchor="anmerkung13">[13]</footnote> aber in höherem Maße hatte er damit unter den Angehörigen der „wehrhaften Vereine deutscher Studenten in der Ostmark“ Erfolg. Diese Vereine, die als zweite Welle der Verbindungsgründungen in Österreich bezeichnet werden können, entstanden als bewusste Gegenbewegung zu den üblichen Formen der Burschenschaften und Corps und betonten ein schlichtes Auftreten bei Ablehnung von einem ausschweifenden Lebensstil und übermäßigem Alkoholkonsum. Ihr Primat legten sie auf vaterländische Arbeit und Dienst am deutschen Volk. <footnote data-id="fn14" data-anchor="anmerkung14">[14]</footnote>

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Als Reaktion auf die mittlerweile dominierende Stellung der deutschnational-antisemitischen Kommilitonen suchten jüdische Studenten nun die Konfrontation, indem sie Säbelpartien provozierten, eigene Verbindungen gründeten und Farben trugen. Dies wurde von ihren Gegner als Ungeheuerlichkeit aufgefasst, sah man doch insbesondere im Tragen der bunten Bänder und Mützen das Zeichen des deutschen Studententums. <footnote data-id="fn15" data-anchor="anmerkung15">[15]</footnote>

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Um ihren Kollegen mosaischen Glaubens aber keine Genugtuung mit der Waffe geben zu müssen, ersann ein Mitglied der Burschenschaft Germania Innsbruck, stud. med. Florian Albrecht, einen juristischen Winkelzug. Er stieß im März 1896 eine Debatte an, wonach ein Jude an sich nicht satisfaktionsfähig sei, da er über keine Ehre verfüge. Dieser Argumentation schlossen sich eine Reihe von schlagenden Verbindungen aus unterschiedlichen Verbänden an. <footnote data-id="fn16" data-anchor="anmerkung16">[16]</footnote> Dieser Beschluss, vor allem getragen von den Bünden des Waidhofener Verbandes, der von den entsprechenden Korporationen umgesetzt wurde, beschäftigte auch die Öffentlichkeit und füllte die Seiten der Tagespresse. <footnote data-id="fn17" data-anchor="anmerkung17">[17]</footnote> Da die jüdischen Studenten nun der Möglichkeit beraubt waren, standesgemäß auf Beleidigungen zu reagieren und ihre Ehre wiederherstellen zu können, kam es nun immer wieder zu Schlägereien zwischen ihnen und antisemitischen Studenten. <footnote data-id="fn18" data-anchor="anmerkung18">[18]</footnote> Dabei spielten sich insbesondere auf dem Boden der Wiener Universität beispielsweise im Mai 1913 wüste Saalschlachten in der Aula ab, in die mehrere Hundertschaften jüdischer und deutschnationaler Studenten involviert waren. <footnote data-id="fn19" data-anchor="anmerkung19">[19]</footnote> Diese Krawalle waren jedoch nur der Gipfel einer längeren Reihe von gegenseitigen Angriffen. <footnote data-id="fn20" data-anchor="anmerkung20">[20]</footnote>

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Im gleichen Jahr eskalierte die Situation in der Landeshauptstadt der Steiermark, als in Graz die katholische Studentenverbindung Carolina ihr Stiftungsfest abhalten wollte. Da die deutschnationalen Nachwuchsakademiker im Klerikalismus einen Feind ihres Volkstums erblickten, schritten sie auf brutalste Weise zur Tat. Der öffentliche Teil des Stiftungsfestes musste teilweise abgesagt werden oder konnte nur unter dem Schutz der Polizei und des zur Verstärkung  herbeigeholten Militärs abgehalten werden. <footnote data-id="fn21" data-anchor="anmerkung21">[21]</footnote>
 

Anmerkungen

<footnote data-id="anmerkung1" data-anchor="fn1">[1]</footnote> Hein, Robert: Studentischer Antisemitismus in Österreich. Wien 1984: S. 15.

<footnote data-id="anmerkung2" data-anchor="fn2">[2]</footnote> Wlakdika, Michael: Hitlers Vätergeneration. Die Ursprünge des Nationalsozialismus in der k. u. k. Monarchie. Wien 2005. S. 45. Knoll, Kurt: Die Geschichte der schlesischen akademischen Landsmannschaft „Oppavia“ in Wien. Im Rahmen der allgemeinen studentischen Entwicklung an den Wiener Hochschulen. Wien 1923. S. 61f.

<footnote data-id="anmerkung3" data-anchor="fn3">[3]</footnote> Wladika: S. 50-53.

<footnote data-id="anmerkung4" data-anchor="fn4">[4]</footnote> Pauley, Bruce: Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. Von der Ausgrenzung bis zur Auslöschung. Wien 1993. S. 66.

<footnote data-id="anmerkung5" data-anchor="fn5">[5]</footnote> Knoll: Oppavia. S. 63.

<footnote data-id="anmerkung6" data-anchor="fn6">[6]</footnote> Seewann, Harald: Das „Waidhofener Prinzip“. Die versuchte Ehrabsprechung Juden gegenüber als Manifestation studentischen Antisemitismus an österreichischen Hochschulen im Jahre 1896, in: Seewann, Harald (Hrsg.), Zirkel und Zionsstern. Bilder und Dokumente aus der versunkenen Welt des jüdisch-nationalen Korporationswesens : ein Beitrag zur Geschichte des Zionismus auf akademischem Boden. (Historia academica Judaica, 5) Graz 1992-1996, 187–228. S. 192.

<footnote data-id="anmerkung7" data-anchor="fn7">[7]</footnote> Bayer, Richard: Chronik des akademischen Corps Teutonia zu Graz. Band 1, o. J. S. 121f.

<footnote data-id="anmerkung8" data-anchor="fn8">[8]</footnote> Hein: S. 70.

<footnote data-id="anmerkung9" data-anchor="fn9">[9]</footnote> Knoll: Oppavia S. 150f. Wladika: S. 104. Die bald darauf erfolgende Bindung an die Studentenschaft sollte eine wichtige Voraussetzung für die spätere Alldeutsche Bewegung darstellen. Whiteside, Andrew G.: Georg Ritter von Schönerer. Alldeutschland und sein Prophet. Graz – Wien – Köln 1981. S. 86.

<footnote data-id="anmerkung10" data-anchor="fn10">[10]</footnote> Scheuer, Oskar Franz: Burschenschaft und Antisemitismus. Der Rassenantisemitismus in der deutschen Studentenschaft. Berlin 1927. S. 45.

<footnote data-id="anmerkung11" data-anchor="fn11">[11]</footnote> Whiteside: S. 84.

<footnote data-id="anmerkung12" data-anchor="fn12">[12]</footnote> Wladika: S. 139.

<footnote data-id="anmerkung13" data-anchor="fn13">[13]</footnote> Whiteside: S. 93.

<footnote data-id="anmerkung14" data-anchor="fn14">[14]</footnote> Neubauer, Rudolf (Nordmährer): Die wehrhaften Vereine deutscher Studenten in der Ostmark. In: Der Kyffhäuser. Mittheilungen des Kyffhäuser-Verbandes und der wehrhaften Vereine deutscher Studenten in der Ostmark, Nr. 1, I. Jg., 1898, S. 2-3. Klich, Josef (Ost-Schlesier): Vereins-Grundsätze. In: Der Kyffhäuser, Nr. 8, VII. Jg., 1904, S. 1-2.

<footnote data-id="anmerkung15" data-anchor="fn15">[15]</footnote> Seewann: WP, S. 195-198.

<footnote data-id="anmerkung16" data-anchor="fn16">[16]</footnote> Seewann: WP, S. 200-202.

<footnote data-id="anmerkung17" data-anchor="fn17">[17]</footnote> Med. F. A. iaB „Germania“, Innsbruck: Ist der Jude satisfaktionsfähig oder nicht? In: Unverfälschte Deutsche Worte 1. März 1896, XIV. Jg., Nr. 5, S. 52-53. 1. April 1896, XIV. Jg., Nr. 7, S. 75-78. Ostdeutsche Rundschau 12. März 1896, VII. Jg., Nr. 71. S. 1-4. 17. März 1896, VII. Jg., Nr. 76. S. 7. 19. März 1896, VII. Jg., Nr. 78, S. 4.

<footnote data-id="anmerkung18" data-anchor="fn18">[18]</footnote> Seewann: WP, S. 203. M. K.: Dem Juden – Keine Waffenehre! In: Ostdeutsche Rundschau 14. März 1896, VII. Jg., Nr. 73, S. 1-2.

<footnote data-id="anmerkung19" data-anchor="fn19">[19]</footnote> Ostdeutsche Rundschau 18. Mai 1913, XX. Jg., Nr. 134, S. 8. Alldeutsches Tagblatt. 20. Mai 1913, XI. Jg., Nr. 114, S. 5-6 und 21. Mai 1913, XI. Jg., Nr. 115, S. 5.

<footnote data-id="anmerkung20" data-anchor="fn20">[20]</footnote> Neue Freie Presse 20. Mai 1913, Nr. 17906, Morgenblatt, S. 10.

<footnote data-id="anmerkung21" data-anchor="fn21">[21]</footnote> 75 Jahre Carolina. Geschichte der katholischen österreichischen Hochschulverbindung Carolina in Graz. S. 141-163.

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