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Wiener Studenten und Wiener Bürger im Spätmittelalter. Die Geschichte einer schwierigen Beziehung

Konflikte zwischen Bürgern und Universität

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Die Konflikte zwischen den Wiener Bürgern und den Universitätsmitgliedern im Spätmittelalter fanden jedoch in den städtischen Quellen entweder kaum Niederschlag oder ist dieser verloren gegangen – wir wissen es nicht. Sie wurden jedoch sehr wohl während der Universitätsversammlungen erörtert, worüber Protokolle bis heute in den Wiener Rektoratsakten und teilweise auch in den Acta facultatis artium existieren <footnote data-id="fn1" data-anchor="anmerkung1">[1]</footnote>. Und auch wenn man bei deren Auswertung Vorsicht walten lassen sollte – schließlich handelt es sich jeweils um nur einseitige Beschreibung der jeweiligen Situation – ist es doch hervorzuheben, dass sich die jeweiligen Rektoren und Dekane, die hier ihre Notizen und Beobachtungen niederschreiben ließen, durchaus der Fehler ihrer suppositi bewusst waren und diese auch zugegeben haben.

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In den ersten Jahren nach dem Albertinum tauchten zunächst kleinere Konflikte auf. Am 8. November 1385 brachten zum Beispiel die Universitätsmitglieder zur Anzeige, dass die Schankwirte in der Stadt nicht nur beim Weineinschenken an die scholares et magistri betrügen, sondern sogar versuchen, den Weinimport für die Universität zu sabotieren. Dahingehend wurde beschlossen, dass eine Beschwerde gegen die Wiener Bürger dem Landesfürsten vorgetragen werden soll <footnote data-id="fn2" data-anchor="anmerkung2">[2]</footnote>.  Die Wiener beschwerten sich ihrerseits immer wieder über singende, pfeifende, Unruhe stiftende und nachts randalierende Studenten <footnote data-id="fn3" data-anchor="anmerkung3">[3]</footnote>.

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Ein erster größerer Konflikt entstand dann im Frühling 1387. Vor die Universitätsversammlung gelangte eine Beschwerde, dass die Schustergesellen Studenten systematisch verfolgen, überfallen und verprügeln - wobei sie sich gleich nach der verübten Missetat in Werkstätten und Kellern verstecken – und die Studenten es nicht mehr wagen, Vorlesungen zu besuchen. Alles war damals umso komplizierter, als man bald die Ankunft des Herzogs Albrecht III. in der Stadt erwartete und man nicht wusste, ob alles rechtzeitig in den Griff zu bekommen sein würde. Um die Wogen zu glätten, haben sich der Bürgermeister, Michael Geukramer, der Stadtrichter, Michael Fink, und der Stadtrat zusammengesetzt – die Universität bat ihren Kanzler, Berthold von Wehingen, den Bischof von Freising, um Rat. Bei den „Friedensverhandlungen“ mit dem Bürgermeister und Stadtrat haben die Handwerker schließlich versprochen, bis Pfingsten keine Scholaren mehr anzugreifen, um den feierlichen Einzug des Landesfürsten nicht zu gefährden. Am 17. April wurde dann von der Universitätsversammlung beschlossen, dass die ganze Angelegenheit durch den Rektor und die Vertreter der vier Fakultäten vor den Fürsten gebracht und verlangt werden sollte, dass die Missetäter gemäß den Privilegien der Universität bestraft werden würden. Die Studenten sollten indes aufgefordert werden, weder gegen die Schuster noch gegen andere Laien bis zum festgelegten Termin vorzugehen. Ansonsten müssten sie von der Universität ausgeschlossen werden <footnote data-id="fn4" data-anchor="anmerkung4">[4]</footnote>. Die gewünschte Unterredung mit Albrecht hat dann offenbar auch stattgefunden, denn am 27. Mai berichten bereits die Rektoratsakten, dass dieser die ewige Eintracht zwischen den Universitätsmitgliedern und den Stadtbürgern befohlen hat <footnote data-id="fn5" data-anchor="anmerkung5">[5]</footnote>.

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Ab diesem so genannten „Schusterkrieg“ <footnote data-id="fn6" data-anchor="anmerkung6">[6]</footnote> wurde, falls Studenten in der Stadt etwas verbrochen haben bzw. man einem der Studenten etwas zu leide tat und es um Bestrafung der Schuldigen ging, der Richter und Rat der Stadt Wien von der Universität sofort auf die Einhaltung der Privilegien und Freiheiten hingewiesen. Er dürfte unter Anderem auch dazu beigetragen haben, dass einer der Universitätsrektoren beschlossen hat, an den Anfang des zweiten Bandes der Rektoratsakten Auszüge aus der deutschen Fassung des albertinischen Privilegs zu stellen <footnote data-id="fn7" data-anchor="anmerkung7">[7]</footnote>. Wahrscheinlich um sie möglichst bei der Hand zu haben, falls es zu Besprechungen mit Repräsentanten der Stadt kommen würde, bei denen man wohl nicht immer gute Lateinkenntnisse erwartet hat.

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Eine mehr als abenteuerliche Amtszeit hat am Anfang des 15. Jh., im Wintersemester 1413/1414 der berühmte Mathematiker und Astronom Johannes von Gmunden als Dekan der artistischen Fakultät erlebt <footnote data-id="fn8" data-anchor="anmerkung8">[8]</footnote>:

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Damals wurde ein (in den Quellen leider namentlich nicht genannte) Scholar von einigen Bürgern und den Dienern des Stadtrichters Wolfgang Purkhartzperger sowie des Bürger- und Münzmeisters Rudolf Angerfelder gefangengenommen, woraufhin es zu einem großen Kampf zwischen Studenten und den städtischen Wachen kam. Die Universität ersuchte den Bürgermeister und die Bürger, gemäß den Universitätsprivilegien den Gefangenen, der Kleriker sei, dem zuständigen Richter, also dem Passauer Offizial, zu präsentieren und wollte den Frieden zwischen Studenten und Bürgern schließen. Doch wollten die Bürger den Gefangenen selbst richten, worauf die Universität beim Herzog um Erhaltung ihrer Privilegien, oder zumindest um gnädige Erlaubnis zum Abzug ersuchen wollte. Der Herzog und sein Rat verlangten von der Universität Statuten und Verordnungen für ein besseres Regimen der Scholaren, um Ausschreitungen und Angriffe gegen Bürger und andere zu verhindern, aber auch an die Bürger sollten ähnliche Anordnungen ergehen. Dies nutzte aber nicht viel, da der gefangene Student bald an den Folgen der Folter verstarb und die Bürger somit von den Vertretern der Universität für exkommuniziert angesehen wurden. Die Universitätsmitglieder lehnten es auch ab, in St. Stephan ihre Gottesdienste zu halten, und verlegten sie (zum Teil) in die Dominikanerkirche. Schließlich ließ der Herzog der Universität Anfang April 1414 verkünden, dass er den Bürgern Frieden mit der Universität und Beobachtung der Universitätsprivilegien befohlen habe, was der Bürgermeister angenommen habe; daher solle auch der Rektor allen supposita den Frieden mit den Bürgern und anderen in der Stadt und Ablassen von Ausschreitungen befehlen <footnote data-id="fn9" data-anchor="anmerkung9">[9]</footnote>.

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Auch dieser Friede war aber ein spröder und dauerte nicht lange. In den folgenden Jahren ist es immer wieder zu Konflikten zwischen Studenten und den Wiener Bürgern, hauptsächlich Handwerksgesellen gekommen. Der brutalste von allen war aber wohl einer, der sich bereits an der Schwelle zur Neuzeit ereignete, nämlich das so genannte Bellum Latinum. Dieser Konflikt ist aus einem Tumult am Fronleichnamstag im Jahr 1513 erwachsen, bei dem sowohl ein Bürger als auch ein magister starben und etliche Menschen verletzt wurden. Die Ursache lag möglicherweise im Tragen des so genannten cingulum, einem Gürtel, welchen die Studenten verpflichtet waren zu tragen und weswegen sie von Weingärtnern verspottet wurden. Unruhen breiteten sich anschließend über die ganze Stadt aus, Studenten forderten die Abschaffung des cingulum, weigerten sich, Waffen abzulegen und fühlten sich sowohl von der Stadt als auch von der Universitätsleitung ungerecht behandelt. Die Auseinandersetzungen sind so weit eskaliert, dass 700 Studenten zum Abzug aus der Stadt gezwungen wurden. In der Matrikel findet man zu dieser Zeit viele Exklusionsvermerke <footnote data-id="fn10" data-anchor="anmerkung10">[10]</footnote>.
 

Anmerkungen

<footnote data-id="anmerkung1" data-anchor="fn1">[1]</footnote> UAW, R1a, R1b, Acta Universitatis et Rectoratus I, II (1382-1422).

<footnote data-id="anmerkung2" data-anchor="fn2">[2]</footnote> UAW, R1a, Fol. 2v.

<footnote data-id="anmerkung3" data-anchor="fn3">[3]</footnote> Primus de pena scolaribus imponenda, qui de nocte cum fistulatore ambulaverunt et magnas insolvencias et clamores in civitate fecerunt, ut iudex civitatis retulit rectori universitatis et adiunxit, si rector non interciperet ipsemet vellet eos capere et punire. Ebd. 40r.

<footnote data-id="anmerkung4" data-anchor="fn4">[4]</footnote> Ebd., Fol. 7v.

<footnote data-id="anmerkung5" data-anchor="fn5">[5]</footnote> Ebd., Fol. 8r. Siehe auch Kurt Mühlberger, Universität und Stadt im 14. und 15. Jahrhundert am Beispiel Wiens. Wesentliche Grundlagen und ausgewählte Szenen einer „konfliktbeladenen Harmonie“, in: Die Universität Wien im Konzert europäischer Bildungszentren. 14.-16. Jahrhundert, ed. Kurt Mühlberger–Meta Niederkorn-Bruck (VIÖG 56, Wien 2010) 53-86, hier 74.

<footnote data-id="anmerkung6" data-anchor="fn6">[6]</footnote> Ebd.

<footnote data-id="anmerkung7" data-anchor="fn7">[7]</footnote> UAW, R1b, Fol. 14r-18v.

<footnote data-id="anmerkung8" data-anchor="fn8">[8]</footnote> Paul Uiblein, Universität Wien im Mittelalter (Schriftenreihe des Universitätsarchivs 11, Universität Wien, Wien 1999), 360.

<footnote data-id="anmerkung9" data-anchor="fn9">[9]</footnote> Ebd. Siehe auch Uiblein, Acta facultatis artium, 411-420.

<footnote data-id="anmerkung10" data-anchor="fn10">[10]</footnote> Mühlberger, Universität und Stadt im 14. und 15. Jahrhundert, 76, 77.