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Begriffsbestimmung ‒ Aufgaben ‒ zentrale Inhalte

Bei einer Definition des Begriffs "Edition" steht man vor der Schwierigkeit, dass nicht nur zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, sondern oftmals auch innerhalb der einzelnen Fächer unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich einer Begriffsbestimmung des Terminus "Edition herrschen. Eine praktikable Definition, die fächerübergreifende Gültigkeit beanspruchen kann, hat Patrick Sahle vorgelegt. Er definiert "Edition" wie folgt: "Edition ist die erschließende Wiedergabe historischer Dokumente" (Sahle, Editionsformen, 2013, Bd. 2, S. 138). Modifiziert man diese Begriffsbestimmung im Hinblick auf den Terminus "Quellenedition", dann ließe sich dieser in Anlehnung an Sahle definieren als die erschließende Wiedergabe historischer Quellen. Dies gilt sowohl für "klassische" typografische, also gedruckte Editionen in Buchform als auch für digitale Editionen.

Quelleneditionen sind multifunktional. Sie erleichtern dem Nutzer erstens den Zugang zu den zum Teil nur schwer erreichbaren Quellen, indem sie ihm den Gang in die Archive ersparen. Sie tragen damit zugleich zweitens zur Schonung der archivalisch aufbewahrten Originaldokumente bei und dienen drittens der langfristigen Sicherung des Inhalts von Quellen, denkt man etwa an die verheerenden Folgen von Naturkatastrophen oder Unglücksfällen wie den Brand in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar 2004 oder den Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln 2009. Quelleneditionen nehmen dem Nutzer viertens die Aufgabe ab, mitunter schwer lesbare Handschriften zu entziffern, und leisten ihm fünftens mittels eines wissenschaftlichen Apparates (Fußnoten, Literaturhinweise etc.) inhaltliche Hilfestellungen.

Der Editor nimmt somit die Rolle eines Mediators ein (vgl. Langmandel, Archetypus, 2013, S. 5). Er vermittelt dem Nutzer auf wissenschaftliche Art und Weise Quellen und ermöglicht ihm durch seine Erschließungsarbeit eine direkte Auseinandersetzung mit dem edierten Material. Oftmals rekonstruiert er die Entstehung einer Quelle vom ersten Entwurf (Konzept) über verschiedene Stufen der Korrektur bis hin zur ausgefertigten Schlussfassung. Der Editor schafft mit seiner Edition faktisch einen Stellvertreter der (archivalisch) überlieferten Quelle. Editionen sind daher im ontologischen Sinn streng genommen niemals identisch mit den Quellen selbst, sondern nur deren Repräsentanten. Sie fügen der Überlieferung der Quelle letztlich eine weitere hinzu und werden damit selbst Teil der Überlieferung (vgl. Sahle, Editionsformen, 2013, Bd. 2, S. 127).

Aus den genannten Aufgaben ergeben sich die zentralen Inhalte und Bestandteile einer wissenschaftlichen Quellenedition. Diese enthält typischerweise:

1.) Die eigentliche Quelle. Je nach Anspruch der Edition wird die Konstitution eines wissenschaftlich gesicherten, auf quellenkritischer Grundlage erzeugten und möglichst authentischen Textes angestrebt.

2.) Ein Kopfregest, also ein Regest oberhalb des eigentlichen Quellentextes. Als Regest bezeichnet man eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Informationen einer Quelle. Ein Kopfregest enthält in der Regel:

  • grundlegende Angaben zu Charakter, Verfasser sowie Entstehungszeit und -ort der Quelle; in Briefeditionen sind dies typischerweise Angaben zum Briefaussteller und -empfänger sowie zu Ausstellungszeit und -ort;

  • genaue Angaben über die Herkunft und die Überlieferung der Quelle: Archivsignatur, bisherige Drucke und Überlieferungsarten (wie zum Beispiel Ausfertigungen, Konzepte und Kopien);

  • ein Inhaltsregest, also eine kurze, stichwortartige Zusammenfassung des Quelleninhaltes; sie dient dazu, dem Nutzer einen schnellen inhaltlichen Zugriff auf die Quelle zu ermöglichen, ohne dass diese ganz gelesen werden muss.

3.) Textanmerkungen: Sie beziehen sich auf den genauen Wortlaut der Quelle und und dienen vor allem dazu, sprachliche und inhaltliche Abweichungen bzw. Varianten (Veränderungen des Textes) der Parallelüberlieferungen aufzuführen, auf Textlücken hinzuweisen sowie unleserliche oder chiffrierte Stellen zu markieren.

4.) Sachanmerkungen: Sie beziehen sich auf die im Text genannten Personen, Orte und erläuterungsbedürftigen Sachverhalte und dienen dazu, dem Nutzer das Verständnis des edierten Textes zu erleichtern

5.) Eine Einleitung: Sie dient dazu, den Nutzer in die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der edierten Quellen einzuführen und den inhaltlichen Kontext darzustellen. Mitunter nehmen diese Einleitungen den Umfang einer Monografie an.

6.) Die editionstechnischen Regeln: Jede wissenschaftliche Edition muss die Kriterien und Regeln transparent machen, nach denen die Quellen ausgewählt und aufbereitet wurden (zum Beispiel im Hinblick auf textliche Eingriffe wie Modernisierungen und Normalisierungen in puncto Orthografie und Interpunktion). Diese Regeln müssen konsequent durchgehalten werden. Andernfalls kann die Edition keinen wissenschaftlichen Anspruch erheben.

7.) Ein Quellen- und Literaturverzeichnis: Dieses Verzeichnis führt die in der Edition erwähnten gedruckten und ungedruckten Quellen sowie die angeführte Literatur auf.

8.) Personen-, Orts- und Sachregister: Die Register dienen dazu, dem Nutzer eine schnelle Orientierung innerhalb der Edition zu ermöglichen. Im Falle fehlender Register sind Quelleneditionen sehr oft nur schwer benutzbar.

Dass digitale Quelleneditionen darüber hinaus ein Mehr aufzuweisen haben, das über die typografischen Editionen in Buchform hinausgeht, wird im Abschnitt "Charakteristika digitaler Editionen" aufgezeigt.