zum Inhalt springen

Arbeiten mit Quellen

Commodus, der Tyrann? Arbeitstechniken und topische Darstellungen bei antiken Autoren

Stefan Priwitzer 

1. Einleitung 

Kaiser Commodus, der von 180 bis 192 n.Chr. über das Römische Reich herrschte, hat im Jahr 2000 noch einmal eine gewisse Berühmtheit erlangt. Er verkörpert den finsteren Gegenspieler des Helden Maximus in Ridley Scotts Film "Gladiator". Beim Showdown stehen sich Commodus und Maximus als Gladiatoren im Colosseum in Rom gegenüber. Auch wenn die Figur des Maximus erfunden ist, eine solche Begegnung im Sand der Arena zwischen dem Kaiser und einem Gladiator ist keineswegs an den Haaren herbeigezogen, wie man vielleicht vermuten könnte. Cassius Dio, ein aus Kleinasien (der heutigen Türkei) stammender Senator und Geschichtsschreiber, berichtet uns als Augenzeuge von Auftritten des Commodus als Gladiator in der Arena (Cassius Dio 73, 17–21).  

Auch die Darstellung des Film-Commodus als mordender, lüsterner und senatsfeindlicher Despot entspricht dem, was wir in den Hauptquellen lesen können. Diese Hauptquellen sind die "Römische Geschichte" des bereits erwähnten Cassius Dio, die Commodus-Vita der Biographien-Sammlung Historia Augusta (s.u.) und die in der 1. Hälfte des 3. Jh. n.Chr. geschriebene "Geschichte des Kaisertums nach Marc Aurel" von Herodian. 

Ob hinter den Auftritten des Commodus als Gladiator ein inhaltliches Konzept stand oder ob es sich nur um ein persönliches Vergnügen handelte und ob Commodus von den antiken Autoren zu Recht so negativ gezeichnet wurde, kann hier nicht untersucht werden. 

Es soll hier um die 'Arbeitsweise' bei der Beschreibung 'schlechter' Herrscher wie Commodus durch antike Autoren gehen. In den Schilderungen 'schlechter' Machthaber begegnet regelmäßig ein ganzer Reigen an schändlichen Taten: Gewalttätigkeiten (Mord, Folter, …), sexuelle Vergehen (Vergewaltigung, Inzest, …) oder übertriebener Luxus. Welche dieser Anschuldigungen möglicherweise eine reale Basis hatten und welche nur untergeschoben wurden, lässt sich häufig nur schwierig entscheiden. Genau dieses Problem soll in der folgenden Quellenanalyse vorgestellt werden.

2. Quellentexte 

Editionen: 

Scriptores Historiae Augustae, 2 vol., ed. Ernst Hohl, Ed. stereotypa correctior add. et corr. adiecerunt Ch. Samberger et W. Seyfarth, Leipzig 1965.

Sueton, Opera vol. I: De vita Caesarum libri VIII, rec. Maximilian Ihm, Leipzig 1908, Ndr. Stuttgart/Leipzig 1993.

Übersetzungen: 

Historia Augusta: römische Herrschergestalten, eingel. u. übers. von Ernst Hohl. Bearb . u. erl. von Elke Merten u. Alfons Rösger. Mit e. Vorw. von Johannes Straub, 2 Bde., Zürich/München 1976/1985 (Die Bibliothek der Alten Welt: Römische Reihe). 

Sueton. Die Kaiserviten. Berühmte Männer, hrsg. und übers. von Hans Martinet, 2. Aufl.,  Düsseldorf/Zürich 2000 (Sammlung Tusculum).

Plutarch, 5 Doppelbiographien. 1. Teil, übers. von Konrat Ziegler und Walter Wuhrmann, ausgew. von Manfred Fuhrmann. Mit e. Einf. und Erläut. von Konrat Ziegler, Darmstadt 1994 (Sammlung Tusculum). 

Quelleneditionen im Internet: 

Cassius Dio, Römische Geschichte 73, 17-21
in: Bill Thayer's Web Site, Übersetzung nach: Loeb Classical Library, 1927
http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Cassius_Dio/73*.html

Historia Augusta, Commodus
in: Bill Thayer's Web Site, Text in Latein und Englisch nach: Loeb Classical Library, 1921
http://penelope.uchicago.edu/Thayer/L/Roman/Texts/Historia_Augusta/Commodus*.htmlhttp>http://www.fh-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lspost05/HistoriaAugusta/hia_vi07.htmlhttp

Sueton, Caligula
in: Bill Thayer's Web Site, Text in Latein und Englisch nach: Loeb Classical Library, 1913-1914

3. Tyrannentopik 

3.1. Der Tyrannisbegriff 

Wenn Herodian den Kaiser Commodus mit dem Wort Tyrann belegt, hat auch der nicht mit der Antike vertraute moderne Leser eine Vorstellung: er verbindet damit einen Gewaltherrscher <footnote data-anchor="anmerkung1" data-id="fn1" id="fn1">[1]</footnote>. Die erste uns erhaltene staatstheoretische Abhandlung der Antike ist die so genannte 'Verfassungsdebatte' im Geschichtswerk Herodots (ca. 485-424 v.Chr.), in der während einer fiktiven Debatte die Vor- und Nachteile der Demokratie, der Oligarchie und der Monarchie diskutiert werden. In dieser 'Verfassungsdebatte' wird der Tyrann als negative Form des Monarchen charakterisiert, der die gesetzte Ordnung missachtet, Frauen vergewaltigt und Todesurteile ohne Gerichtsverfahren ausspricht (Herodot 3, 80, 5).

Dieser Kanon der schändlichen Eigenschaften fand seinen Höhepunkt im 4. Jahrhundert v.Chr. in den Darstellungen Platons, Xenophons, des Isokrates und des Aristoteles. Der Tyrannisbegriff wurde nun überwiegend von den moralischen Kriterien bestimmt, die 'staatsrechtliche' Komponente trat zurück. Somit konnte auch von Tyrannis gesprochen werden, wenn 'staatsrechtlich' eine solche nicht bestand (z.B. Tyrannisvorwürfe gegen gewählte Amtsträger in der römischen Republik). 

Unter dieser Prämisse wurde der Tyrannenbegriff auch in der römischen Republik aufgenommen. Daneben besaßen die Römer selbst eine Tradition, die despotische Herrscher ablehnte: Der Vorwurf, ein regnum (Königtum) auszuüben oder anzustreben, bezog sich aber im Grunde nur auf die autokratische Machtstellung, die Persönlichkeit des Despoten blieb im Gegensatz zum griechischen Tyrannen im Hintergrund. Mit dem Eintritt des griechischen Tyrannentypus in den römischen Kulturkreis überlagerte er sich mit dem römischen Königstypus zu einem stereotypischen Despoten.

3.2. Konkrete Anschuldigungen 

Neben den bereits angedeuteten allgemeinen topischen Vorwürfen gegen den Tyrannen müssen auch individuelle Anschuldigungen in Betracht gezogen werden. Denn konkrete Vorfälle, die einem Tyrannen zur Last gelegt wurden, hielten sich ebenfalls oft über die Jahrhunderte. Exemplarisch sei hier folgender Vorfall genannt: Nero soll mit einem Tritt in den Bauch seiner schwangeren Gattin Poppaea für deren Tod verantwortlich gewesen sein. Auffällig ist, dass die gleiche Anschuldigung auch gegen die Tyrannen Kambyses, den Sohn des Kyros, und Periander von Korinth sowie den mit den Zügen eines Tyrannen gekennzeichneten Herodes Atticus überliefert ist; in die gleiche Richtung geht der Fall der Iulia Titi, die angeblich an einer von Domitian geforderten Abtreibung gestorben ist.

Theoretisch ist die voneinander unabhängige Wiederholung solcher Handlungen mit Todesfolge wohl möglich, das Auftreten des Motivs bei fünf 'tyrannischen' Personen verschiedener Epochen spricht aber eher dafür, dass es als topisches Thema verwandt wurde. <footnote data-anchor="anmerkung2" data-id="fn2" id="fn2">[2]</footnote> Ob es dabei einen 'Urfall' gab, der sich tatsächlich ereignet hat – dies müsste bei der gegebenen Überlieferungslage Kambyses gewesen sein – und später auf andere Personen übertragen wurde, ist nicht zu klären und auch nicht besonders wahrscheinlich: Nur zu verlockend muss es gewesen sein, einen eventuell durch Komplikationen hervorgerufenen Tod der schwangeren Gattin dem 'bösen' Ehemann in die Schuhe zu schieben.

Allerdings darf trotz der stereotypen Beschreibung von Tyrannen die betroffene Person nicht allein als passives Opfer dieser Verurteilung angesehen werden. Einerseits hatten diejenigen Autoren, die einen Kaiser als Tyrannen darstellten, immer auch ihre – subjektiven – Gründe für dieses Urteil. Andererseits werden einzelne Vorwürfe auf tatsächlichen Ereignissen beruht haben:

"Selbst wenn das alles nur Topik sein sollte, hatten diese Topoi doch, wie alle Topoi, ihren Sitz im Leben." <footnote data-anchor="anmerkung3" data-id="fn3" id="fn3">[3]</footnote>

4. Die Quelle 

4.1. Historia Augusta 

Die Historia Augusta ist eine Sammlung von Biographien römischer Kaiser, Thronanwärter und Usurpatoren von Hadrian (117-138 n.Chr.) bis Numerian und Carinus (283-284/5 n.Chr.), die allerdings eine Überlieferungslücke für die Jahre 244-253 n.Chr. aufweist. Der überwiegende Teil der Forschung sieht in der Historia Augusta das Werk eines einzigen Autors, entgegen der eigenen Angabe der Historia Augusta, dass sechs namentlich genannte – ansonsten aber unbekannte – Autoren die Viten verfasst hätten. Sehr viel umstrittener ist die Frage, wann die Historia Augusta entstanden ist. Die Datierungsvorschläge gehen von der Zeit Diokletians bzw. Konstantins d.Gr., d.h. gegen Ende des 3. bzw. Anfang des 4. Jahrhunderts n.Chr. (diese Datierung gibt die Historia Augusta selbst), bis ins 6. Jahrhundert n.Chr. Will man an der frühen Datierung festhalten, muss man allerdings eine spätere Überarbeitung des Werkes annehmen, denn in der uns heute vorliegenden Form lässt sich die Benutzung von anderen antiken Autoren in der Historia Augusta belegen, die nachweislich später als zur Zeit Diokletians geschrieben haben. 

Der Verfasser legt – in einer Zeit, in der das Christentum immer mehr auf dem Vormarsch ist – eine heidnische Gesinnung an den Tag und stellt ein Herrscherideal auf, bei dem das Verhältnis des Kaisers zum Senat als entscheidendes Kriterium die Herrschaftsqualität bestimmt, was für die Nähe oder sogar Zugehörigkeit des Autors zur stadtrömisch-heidnischen Aristokratie spricht, die das Werk wohl auch ansprechen sollte. Dieses Herrscherideal wird in Bezug auf Commodus ganz deutlich: 

Historia Augusta, Clodius Albinus 13, 7: 

hic ipse Commodus quanto melior fuisset, si timuisset senatum? 

Wieviel besser wäre selbst dieser Commodus gewesen, hätte er mehr Respekt vor dem Senat gehabt? 

Hinter dieser Aussage ist möglicherweise – verkürzt gesagt – die Ursache für die negative Wertung der Herrschaft des Commodus durch die Historia Augusta zu erkennen: Commodus' Verhältnis zum Senat war offensichtlich gestört. 

Der historische Wert der einzelnen Kaiserbiographien ist unterschiedlich, was an der sehr unterschiedlichen Quellenlage liegt. Für die Kaiser bis Kaiser Caracalla (211-217 n.Chr.) konnte der Autor der Historia Augusta offensichtlich auf einen breiten Fundus an Quellen zurückgreifen. Nachweislich zog der Autor der Historia Augusta sowohl Cassius Dio als auch Herodian heran. Einen weiteren Autor erwähnt die Historia Augusta sogar als literarisches Vorbild: Sueton. 

4.2. Literarisches Vorbild: Sueton 

Gaius Tranquillus Suetonius hatte zu Beginn des 2. Jahrhunderts eine Biographien-Sammlung römischer Alleinherrscher von Caesar bis Domitian verfasst. Sueton stammte vermutlich aus Hippo Rhegius in Nordafrika. Er bekleidete bedeutende Ämter in der kaiserlichen Verwaltung, zuletzt war er ab epistulis (‚Kanzleichef‘) unter Hadrian.

Sueton wie auch der Historia Augusta wird von der modernen Forschung häufig zum Vorwurf gemacht, sich vor allem Klatschgeschichten und Anekdoten zu widmen und zu wenig ‚wichtige‘ Informationen zu bieten. Zum einem wird hier die Verzweiflung von Wissenschaftlern deutlich, wenn aus Mangel an Parallelüberlieferungen die einzige Quelle zu einem Sachverhalt aus einer Biographie stammt und diese nicht immer die an modernen Maßstäben gemessene Sachlichkeit bietet – was aber auch in historiographischen Quellen nicht immer der Fall ist. Zum anderen verfolgten antike Biographie und Historiographie eben unterschiedliche Ansätze, wie ein weiterer antiker Biograph, Plutrach, programmatisch formuliert: 

"Wenn ich in diesem Buch das Leben des Königs Alexander und das des Caesar, von dem Pompeius bezwungen wurde, darzustellen unternehme, so will ich wegen der Fülle des vorliegenden Tatsachenmaterials vorweg nichts anderes bemerken als die Leser bitten, wenn ich nicht alles und nicht jede der vielgerühmten Taten in aller Ausführlichkeit erzähle, sondern das meiste kurz zusammenfasse, mir deswegen keinen Vorwurf zu machen. Denn ich schreibe nicht Geschichte, sondern zeichne Lebensbilder, und hervorragende Tüchtigkeit und Verworfenheit offenbart sich nicht durchaus in den aufsehenerregendsten Taten, sondern oft wirft ein geringfügiger Vorgang, ein Wort oder ein Scherz ein bezeichnenderes Licht auf einen Charakter als Schlachten mit Tausenden von Toten und die größten Heeresaufgebote und Belagerungen von Städten."

(Plutarch, Alexander 1, 1-2)

5. Quellenanalyse 

In der Historia Augusta wird über Commodus berichtet, dass er besonders schöne Frauen zum Hohn auf ihre Keuschheit in sein Privatbordell gezwungen habe: 

Historia Augusta, Commodus 2, 7-8: 

quibus per patris mollientem restitutis popinas et ganeas in Palatinis semper aedibus fecit neque umquam pepercit vel pudori vel sumptui. in domo aleam exercuit. mulierculas formae scitioris ut prostibula mancipia perficiens lupanarium ad <lu>dibrium pudicitiae contraxit. 

Als sein Vater schwach genug war, sie [Berater] wieder einzusetzen, richtete er im Kaiserpalast ständig Garküchen und Kneipen ein, ohne je auf den Anstand oder Kosten Rücksicht zu nehmen. Zu Hause frönte er dem Würfelspiel. Erlesene schöne Frauenzimmer steckte er wie Dirnen aus dem Sklavenstand in sein Privatbordell zum Hohn auf ihre Keuschheit. 

Wie sind nun diese Informationen zu bewerten? Es sind ganz auffällige Parallelen zu Suetons Biographie des Caligula zu beobachten:

Sueton, Caligula 41, 1-2: 

ac ne quod non manubiarum genus experiretur, lupanar in Palatio constituit, districtisque et instructis pro loci dignitate compluribus cellis, in quibus matronae ingenuique starent, […]. ac ne ex lusu quidem aleae compendium spernens plus mendacio atque etiam periurio lucrabatur.

Und um keine Quelle, Gewinn zu machen, unerprobt zu lassen, errichtete er auf dem Palatin ein Bordell; dort hatte er mehrere kleine Räume abtrennen und einrichten lassen, so wie es der Würde des Ortes angemessen war; in diesen Räumlichkeiten mußten sich verheiratete Frauen und freigeborene junge Leute zur Liebe feilbieten. […] Nicht einmal Gewinne aus dem Würfelspiel verachtete er; er machte allerdings mehr Gewinn durch Falschspiel und Meineid. 

Sowohl Caligula als auch Commodus wird also vorgeworfen, Bordelle eingerichtet zu haben. Bei Caligula direkt im Anschluss, bei Commodus unmittelbar davor wird vom Würfelspiel berichtet, ein Vorwurf, der häufig bei 'schlechten' Kaisern begegnet. Dies deutet eindeutig darauf hin, dass der Autor der Historia Augusta die Stelle in der Caligula-Vita Suetons als Vorlage genommen und nur so halbherzig umgestellt hat, dass die Herkunft offensichtlich bleibt. Man hat fast den Eindruck als treibe der Autor der Historia Augusta seinen Spaß auf Kosten der Leser. Denn natürlich sagt er an keiner Stelle, das er Passagen aus dem Werk Suetons gestohlen hat, erwähnt aber an anderer Stelle der Commodus-Vita, dass Commodus eine Person, die es gewagt haben soll, die Caligula-Biographie Suetons zu lesen, den wilden Tieren habe vorwerfen lassen (Historia Augusta, Commodus 10, 2). Er stößt also den Leser schelmenhaft mit der Nase auf seinen 'Betrug'. Möglicherweise weil Caligula und Commodus – wie die Historia Augusta auch anmerkt – am gleichen Tag (31. August) Geburtstag hatten und sich ein Vergleich deshalb aufdrängte, griff der Autor der Historia Augusta speziell auf diese Biographie zurück. 

Kehren wir aber zur Interpretation der Quellenstelle zurück. Die anekdotenhaft erscheinende Bordell-Affäre des Caligula hat jüngst Aloys Winterling <footnote data-anchor="anmerkung4" data-id="fn4" id="fn4">[4]</footnote> mittels einer Überlieferung bei Cassius Dio wie folgt aufgelöst: Auf dem Palatin wurden Frauen und Kinder von führenden politischen Persönlichkeiten als Geiseln gehalten. Zusätzlich habe Caligula von den Familien Geldzahlungen gefordert (Cassius Dio 59, 28, 9). Aus diesen Informationen – Frauen und Geldzahlungen – habe Sueton ein Bordell gemacht. Während sich also bei Caligula zumindest ursprünglich reale Gegebenheiten für die erfundenen Vorwürfe finden, löst sich das Bordell des Commodus gänzlich in Luft auf, denn hier wird nur Sueton abgeschrieben. Eine Rolle spielt möglicherweise auch eine Anekdote über Nero. Laut Tacitus und Cassius Dio habe Nero anlässlich eines Festes improvisierte Bordelle errichten lassen, in denen sich Freie (d.h. keine Sklaven), Jungfrauen und Frauen 'von Stand' hingeben mussten (Tacitus, Annalen. 15, 37, 1f.; Cassius Dio 62, 15, 2-6). Die entsprechenden Nachrichten haben offenbar auch Sueton vorgelegen (Sueton, Nero 27, 2), man wird sie deshalb nicht einfach als verleumderische Erfindung vom Tisch wischen können. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass das Fest im Zusammenhang mit den Floralia stand, ein Fest der Fruchtbarkeit, das die Prostituierten für sich beanspruchten und entsprechend feierten.<footnote data-anchor="anmerkung5" data-id="fn5" id="fn5">[5]</footnote>

Allgemeiner – das heißt tyrannentopischer – Hintergrund dieser Bordell-Vorwürfe ist der Vorwurf der Vergewaltigung. In der klassisch-hellenistischen griechischen Literatur erscheinen Gewaltherrscher nie als Vergewaltiger der Frauen besiegter äußerer Feinde des Staates, denn eine solche 'legitime' Konstellation würde zu ihrer beabsichtigten Charakterisierung als willkürliche Despoten nichts beitragen. Sie zwingen vielmehr die Frauen von Mitbürgern zum Geschlechtsverkehr, freie, noch dazu meist vornehme Frauen des eigenen Stadtstaates. Diese offenkundige Verletzung der sozialen Ordnung eignete sich hervorragend dazu, den Tyrannen als Feind der bestehenden Herrschaftsordnung und des Volkes abzustempeln und seine Hybris (frevelhafte Überheblichkeit) zu demonstrieren, weshalb sie in die Tyrannentopik aufgenommen wurde. <footnote data-anchor="anmerkung6" data-id="fn6" id="fn6">[6]</footnote> Mehrere einschneidende Ereignisse der römischen Geschichte wurden mit Vergewaltigungen verbunden. Im römischen Bewusstsein besonders prominent war der Fall der Frau des Collatinus, Lucretia, deren Vergewaltigung durch Sextus Tarquinius, den Sohn des Königs Tarquinius Superbus, die Vertreibung der römischen Könige ausgelöst haben soll.

6. Fazit

Die Historia Augusta wollte Commodus als 'schlechten' Kaiser, als Tyrann darstellen. Ein, wenn nicht der ausschlaggebende Hintergrund war offensichtlich das – aus Sicht der Historia Augusta – gestörte Verhältnis zwischen Commodus und Senat. Eine solche Missstimmung konnte sich entwickeln, wenn ein Kaiser den Senat seine faktische politische Machtlosigkeit zu sehr spüren ließ und sich nicht weit genug auf das vom ersten römischen Kaiser, Augustus (27 v.Chr. – 14 n.Chr.), erfundene Schauspiel einließ, offiziell in einer Republik und nicht in einer Monarchie zu leben. Um das Bild des 'Tyrannen' Commodus zu unterfüttern, wurden ihm auch Taten angelastet, die er nachweislich nicht begangen hat. Exemplarisch nachweisen lässt sich das an Vergewaltigungsvorwürfen gegen 'schlechte' Kaiser, in diesem speziellen Fall weiterentwickelt zu dem Vorwurf, ein Bordell eingerichtet zu haben.

7. Literaturhinweise 

Andreas Mehl, Römische Geschichtsschreibung. Grundlagen und Entwicklungen. Eine Einführung, Stuttgart u.a. 2001. 

Klaus Meister, Die griechische Geschichtsschreibung. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus, Stuttgart 1990. 

Holger Sonnabend, Geschichte der antiken Biographie: von Isokrates bis zur Historia Augusta, Stuttgart/Weimar 2002. 

Pedro Barceló, Basileia, Monarchia, Tyrannis. Untersuchungen zur Entwicklung und Beurteilung von Alleinherrschaft im vorhellenistischen Griechenland (Historia Einzelschriften 79), Stuttgart 1993.

Anmerkungen

<footnote data-anchor="fn1" data-id="anmerkung1" id="anmerkung1">[1]</footnote> Vgl. Duden Fremdwörterbuch, s.v. Tyrann, 6. Aufl., Mannheim u.a. 1997.

<footnote data-anchor="fn2" data-id="anmerkung2" id="anmerkung2">[2]</footnote> Vgl. Walter Ameling, Tyrannen und schwangere Frauen, Historia 35 [1986], 507-508.

<footnote data-anchor="fn3" data-id="anmerkung3" id="anmerkung3">[3]</footnote> Wolfgang Schuller, Frauen in der späten römischen Republik. Neues oder traditionelles Verhalten?, in: Christoph Ulf [Hrsg.], Ideologie – Sport – Außenseiter. Aktuelle Aspekte einer Beschäftigung mit der antiken Gesellschaft [Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 108], Innsbruck 2000, 255-261, hier 258.

<footnote data-anchor="fn4" data-id="anmerkung4" id="anmerkung4">[4]</footnote> Aloys Winterling, Caligula. Eine Biographie, München 2003, 132-134.

<footnote data-anchor="fn5" data-id="anmerkung5" id="anmerkung5">[5]</footnote> Vgl. Konrad Vössing, Mensa Regia. Das Bankett beim hellenistischen König und beim römischen Kaiser [Beiträge zur Altertumskunde 193], München/Leipzig 2004, 442.

<footnote data-anchor="fn6" data-id="anmerkung6" id="anmerkung6">[6]</footnote> Vgl. Georg Doblhofer, Vergewaltigung in der Antike [Beiträge zur Altertumswissenschaft 46], Stuttgart/Leipzig 1994, 35ff.