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Conquista

Anja Bröchler

Mit der neueren Forschung zur Entdeckung und Eroberung Amerikas, der conquista, hat sich ein verändertes Verständnis über deren Dynamik und Verlauf entwickelt, das insbesondere die Rolle der indigenen Bev. betrifft.

Für ein Verständnis der c. sind besonders zwei Faktoren entscheidend: 1) Die Handelsexpansion durch private Handelsgesellschaften. Aufgrund seiner exponierten geographischen Lage war es zunächst das Königreich Portugal, das im 15. Jh. im Atlantik neue Handelsrouten für Gewürze und Sklaven erschloss. 2) Die vor allem vom Königreich Kastilien ausgehende Expansions- und Siedlungspolitik der Jh. andauernden Rückeroberung der arabischen Gebiete auf der Iberischen Halbinsel (reconquista, 711–1492). Das Königreich Kastilien, seit 1469 in Personalunion mit dem Königreich Aragon, verfolgte eine territoriale Expansion auf der Iberischen Halbinsel, die 1492 mit der Rückeroberung Granadas abgeschlossen war. Ein Strukturmerkmal der reconquista, das später für die C. relevant wurde, war die weitgehend private Organisation und Finanzierung der Kriege. Die Krone stellte keine großen Armeen. Es waren kleine, lokale Gruppen, die in den Kampf zogen. In der Regel mussten die Teilnehmer für ihre eigene Bewaffnung und Ausrüstung aufkommen – ein grundlegendes Organisationsprinzip für die späteren C.-Züge in Iberoamerika.

Die Conquistadoren waren keine Soldaten oder Söldner, im Regelfall besaßen sie kaum eine militärische Ausbildung. Sie trugen keine Uniformen und die organisatorische Hierarchie innerhalb der Conquistadoren war nur gering ausdifferenziert. Vor allem aber war entscheidend, dass sie keinen Sold erhielten und auch keine solche Entlohnung erhalten wollten. Es ging ihnen um ihren eigenen Anteil an den Eroberungen, d. h. das erbeutete Gold und Silber, vor allem aber um eine encomienda, um die Nutzungsrechte von Tribut und indigener Arbeit, die von einem lokalen oder regionalen indigenen Gemeinwesen zu erbringen waren. Eine ertragreiche encomienda verhieß neben dem Einkommen das entsprechende Sozialprestige als Siedler in den eroberten Gebieten. Die Höhe des Anteils richtete sich nach dem Status, der Leistung und vor allem der Investition, denn Pferde, Waffen, Ausrüstung, auch die Verpflegung und die Versorgung der Wunden mussten privat aufgebracht werden. Das Geld dafür war zumeist geliehen, da die wenigsten der Conquistadoren wohlhabend waren. Der capitán, der Anführer der Gruppe, brachte den größten Anteil des Geldes auf, persönlich und mithilfe von Finanziers und verlieh das Geld an seine Leute. Zwischen den Teilnehmern bestand ein komplexes Netzwerk aus finanziellen Verflechtungen, das die Eroberer eng miteinander verband. Statt der geläufigen Vorstellung vom Eroberer als Abenteurer oder Glücksritter wird in der Forschung daher eher der unternehmerische Charakter betont. Sobald jemand sein Auskommen gefunden hatte, sei es als encomendero (Besitzer einer encomienda) oder als Händler oder Handwerker, schwand die Bereitschaft, sich an weiteren Unternehmungen mit ungewissem Ausgang zu beteiligen. Das soziale Spektrum, aus dem sich die Conquistadoren rekrutierten, war breit gefächert. Bis auf den Hochadel und die ganz arme Bev. lassen sich alle Schichten und Berufe finden. Die Conquistadoren verbanden mit der Eroberung die Chance auf materiellen Gewinn und sozialen Aufstieg. Edelmetalle waren für sie wichtig, weniger weil die Eroberer besonders „goldgierig“ waren, sondern weil Gold und Silber verhältnismäßig gut zu transportieren und ein universell einsetzbares Zahlungsmittel waren.

Auf der anderen Seite des Atlantiks, auf dem Kontinent, der später Amerika genannt wurde, bildeten sich im Verlauf des 15. Jhs. mit den Mexica (Azteken) in Mesoamerika und den Inka in Peru zwei große Reiche heraus, die jüngsten in einer Reihe von Großreichen in Amerika (altamerikanische Kulturen). Parallel dazu gab es sesshafte Völker, die nicht in einem größeren Staat oder Staatenverbund zusammengeschlossen waren. Außerdem gab es in Amerika semisesshafte Gesellschaften wie die Tainos auf den Antillen in der Karibik oder die Tupí in Brasilien. Der größte Bev.-Anteil lebte sesshaft, flächenmäßig nahmen jedoch die semisesshaften Gruppen einen größeren Raum ein.

Die Tainos der karibischen Inseln, denen der Genuese Christopher Columbus (um 1451– 1506) auf seinem vermeintlichen Seeweg nach Asien 1492 erstmals begegnete, konnten den Invasoren wenig entgegensetzen. Die Kontakte verliefen zunächst freundlich. Eine friedliche erste Begegnung war eher die Regel, da es der kulturellen Praxis der meisten indigenen Völker Amerikas entsprach, Fremde freundlich und mit Achtung zu empfangen. Ein Umstand, den die Conquistadoren schnell mit Überraschungsangriffen zu ihrem Vorteil nutzten. Sie versuchten, die jeweiligen Herrscher in ihre Gewalt und somit – zumindest temporär – deren Bev. unter ihre Kontrolle zu bringen. Bei der Eroberung Mexikos (1519–1521) sollte Hernando Cortés (um 1485–1547) genau diese Taktik einsetzen, den Regenten der Mexica Motecuhzoma (dt. Montezuma, um 1465–1520) gefangen zu nehmen und sich seiner Herrschaft zu bemächtigen. Motecuhzomas Gefangensetzung wird oft als Beweis für Cortés Führungsqualitäten und außerordentlichen Wagemut angeführt, entspricht jedoch einer Standardtaktik in den C.-Zügen. Auch Francisco Pizarro (um 1475–1541) verwandte sie bei der Eroberung Perus (1532–1536) mit dem Sapa Inca Atahuallpa (um 1500–1533).

Die Eroberung der karibischen Inseln verlief in vielerlei Hinsicht problematisch. Die Behandlung der Taino-Bev. durch die Siedler war von Brutalität und Grausamkeit geprägt. Das Verbot der Krone, die indigene Bev. zu versklaven, wurde vielfach umgangen. Es waren die religiösen Orden, welche die Conquistadoren und die Krone ermahnten, die indigene Bev. nicht zu massakrieren, sondern zu missionieren. Bartolomé de las Casas wandelte sich angesichts der Verhältnisse: Aus einem encomendero wurde der später berühmte Dominikaner Fray Bartolomé de las Casas, der in seinen Schriften und am Königshof die Gewaltverhältnisse der C. und die Barbarei der Conquistadoren anklagte. Die ungeheure Niederträchtigkeit der Eroberer auf Hispaniola, so Las Casas, hätte neun von zehn Tainos umgebracht. Und auch wenn Las Casas den Einfluss der von den Eroberern eingeschleppten Seuchen für die dramatische Sterblichkeitsrate geflissentlich oder unwissentlich ignorierte, so fiel nach gegenwärtigen Schätzungen die Bev. um die Mitte des 16. Jhs. um 90% auf etwa 15.000 Überlebende.

Von der Karibik gingen zwei große Eroberungsreihen aus. Die erste führte von Kuba auf das mex. Festland und von dort nach Mittelamerika, die zweite über den Isthmus von Panama und entlang der Pazifikküste südwärts. Von Kuba aus brach 1519 Hernando Cortés mit 11 kleineren Schiffen, ca. 650 Männern und 16 Pferden auf. 1532 unternahm Francisco Pizarro mit weniger als 200 Conquistadoren seinen Eroberungszug von Panama nach Peru. Noch 20 Jahre später überstieg die Zahl der Spanier im eroberten Tawantinsuyu, dem Reich der Inka, keine 6.000.

Die Ereignisse, die zu dem führten, was die span. Eroberung Mexikos und Perus genannt wird, sind immer wieder und immer noch Gegenstand kontroverser Betrachtungen. Wie so wenige Invasoren, insgesamt nicht über 10.000, in so kurzer Zeit so viele indigene Gemeinwesen mit mehreren Mio. Bewohnern besiegen und beherrschen konnten, bleibt eine der zentralen Fragen. Die aktuelle Antwort der Forschung lautet: Sie konnten es nicht ohne die aktive, teils erzwungene, oft aber freiwillige indigene Beteiligung.

Die Dynamik der Eroberung entwickelte sich vor allem aufgrund dreier Faktoren: Erstens verschafften die Schwerter aus Stahl den Conquistadoren einen Vorteil. Die Kombination von Stahlschwertern und Pferden führte in flachem Gelände zur Überlegenheit in der offenen Schlacht. Diese wurde ergänzt durch Taktiken des Terrors. Die Eroberer brannten Dörfer nieder und töteten deren unbewaffnete Bewohner einschließlich der Frauen und Kinder. Um die eigene Bev. gegen einen Feind zu schützen, erschien es vielen indigenen Herrschern klüger, ein Bündnis mit den Invasoren einzugehen. Diese Allianzen sind der zweite ganz entscheidende Faktor für den Erfolg der Eroberung. Die indigenen Kulturen waren nicht so naiv, die Conquistadoren für Götter zu halten. Die jeweiligen Herrscher versprachen sich Vorteile von einem Bündnis. So erhofften sich die Totonaken in Mexiko, die der Regionalmacht von Tenochtitlán unterworfen waren, von einem Bündnis mit Cortés eine Befreiung von deren Vorherrschaft. Die Tlaxcalteca, die sich dem Expansionsdrang des Aztekenreiches erfolgreich widersetzt hatten, sahen nach den anfänglichen kriegerischen Auseinandersetzungen mit Cortés in den Eroberern Verbündete im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind. In Mesoamerika waren die span. Invasoren Profiteure traditioneller Bündnispolitiken, in der Kriege und wechselnde Allianzen die Regel waren. Eine wichtige Brückenfunktion für die Verhandlungen übernahmen transkulturelle Vermittler. Bekannt ist vor allem Malintzin (span. doña Marina oder Malinche, um 1502–1529), die als Machtmaklerin weit mehr war als ein sprachliches Talent und eine Übersetzerin, von der Cortés profitierte.

Als dritter Faktor in der C. kommt den von den Eroberern eingeschleppten Seuchen eine zentrale Rolle zu. Sie brachten einen dramatischen Bev.-Rückgang mit sich und destabilisierten die traditionellen Herrschaftsstrukturen zusätzlich. Noch bevor die span. Conquistadoren kamen, fielen in Peru die Inkas den Pocken zum Opfer. Sowohl der Inkaherrscher Huayna Capac, der von 1493 bis 1527 regierte, als auch sein Thronfolger starben. Zwischen den beiden überlebenden Söhnen Atahuallpa und Huáscar (beide regierten 1527–1532) kam es zur kriegerischen Konfrontation. Der Nutznießer der Auseinandersetzung war Francisco Pizarro. Auf dem amerik. Festland führten die Seuchen zwar nicht, wie in der Karibik, zu einer fast vollständigen Auslöschung der indigenen Bev., aber die Mortalitätsrate war auch hier hoch. Für ein Verständnis der C. ist die Neubewertung des indigenen Handlungsraums entscheidend. Die indigene Bev. übernahm nicht nur assistierende Funktionen. Oft verstanden sie sich selbst als indigene Conquistadoren, eigenständige Akteure, die ihre Ziele mithilfe der Spanier verfolgten. Zudem verstellt die Konzentration auf die vermeintlich schnellen Siege über die beiden Großreiche von Mexiko und Peru den Blick auf den langen Prozess der C. Sowohl Guatemala als auch Yucatán konnten trotz mehrerer Unternehmungen und unter Beteiligung von vielen Tausend indigenen Verbündeten nur partiell erobert werden. Die territorialen Grenzen der Expansion erweiterten sich, konnten aber auch wieder zurückweichen. Überall dort, wo die Spanier nicht auf etablierte staatliche Strukturen trafen, die Natur beschwerlich und die Bev. nur zum Teil sesshaft war, erwies sich die Eroberung als außerordentlich mühsam. Territoriale Kontrolle und Herrschaftsetablierung blieb häufig bis ins 19. oder gar beginnende 20. Jh. eine Illusion. In den Sümpfen Floridas versanken im Verlauf des 16. Jhs. mehr als sechs erfolglos verlaufende Expeditionen. Im Süden gründete 1536 Pedro de Mendoza (1487–1537) mit über 2.000 Siedlern Buenos Aires im Gebiet des Río de la Plata. Aufgrund von Hungersnot überlebten nur rund 500 Kolonisten und Buenos Aires musste zunächst aufgegeben werden. De facto blieben viele Territorien wie der Süden Argentiniens und Chiles und der Norden Mexikos, aber auch Binnenregionen wie der Chaco oder das Amazonasgebiet, teilweise bis in die zweite Hälfte des 19. Jhs. unter indigener Kontrolle.

Die Eroberung und Herrschaftsetablierung beruhte – obwohl gewaltförmig – vielfach genauso auf Kooperation und Verhandlung zwischen den Kulturen wie auf Konfrontation und Zwang. Die vielfältigen indigenen Quellen der Kolonialzeit erzählen von der Erwartung und auch der Illusion, die sich indigene Herrscher von einer Allianz mit den Conquistadoren machten. Sie suchten als gleichberechtigte Akteure ihren Platz und ihre Teilhabe in der sich neu gestaltenden kolonialen Welt Amerikas.

Literaturhinweise

L. E. Matthew, M. R. Oudijk (Hg.): Indian Conquistadors: Indigenous Allies in the Conquest of Mesoamerica, Oklahoma 2007; J. Lockhart: We People Here: Nahuatl Accounts of the Conquest of Mexico, Berkeley 1993; M. Restall: Seven Myths of the Spanish Conquest, Oxford 2004; C. Townsend: Malintzin’s Choices: An Indian Woman in the Conquest of Mexico, Albuquerque 2006.

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