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Mestize

Wolfgang Gabbert

Der Begriff M. (von lat. mixticius, span. mestizo/a, port. mestiço/a „Mischling“) ist Teil einer in LA infolge des iberischen Kolonialismus entstandenen umfassenden Gesellschaftsvorstellung, die das Gemeinwesen in vermeintlich durch Abstammung und biologische und/oder kulturelle Unterschiede differenzierte Kategorien gegliedert sieht. M. bezeichnet in seiner Hauptbedeutung die Nachkommen aus Verbindungen zwischen unterschiedlichen Bev.­Gruppen, meist Spaniern bzw. Portugiesen und Indigenen. Zuweilen wird der Begriff auch für Menschen indigener Herkunft gebraucht, die sich kulturell der iberisch-europ. Kultur angenähert haben (neben M. auch ladino in Guatemala, caboclo in Brasilien oder cholo im Andenraum). In der Kolonialzeit und z. T. darüber hinaus wurden die Statuskategorien mit bestimmten Rechten und Pflichten versehen, u. a. was Landbesitz, Besteuerung, Zugang zu bestimmten Ämtern, Wahl des Wohnsitzes u. a. m. betraf (sistema de castas). So war es M. in der Regel nicht gestattet, sich in indigenen Gemeinden anzusiedeln.

Die Zuordnung zur Kategorie M. in rechtlichen und alltäglichen Kontexten erfolgte keineswegs immer anhand der tatsächlichen Abstammung oder phänotypischer Merkmale. Vielmehr waren häufig Sprache, Kultur, Beruf und der Rechtsstatus entscheidend. Während legitime Nachkommen häufig als Spanier anerkannt wurden, handelte es sich bei den als M. bezeichneten Personen vor allem während des 16. und 17. Jhs. oft um das Ergebnis außerehelicher, jedoch dauerhafter Verbindungen. Darüber hinaus bestand ein enger Zusammenhang zwischen dem ausgeübten Beruf und der Zuschreibung zu einer Statuskategorie. Dabei wurden M. meist mit mittleren Positionen in Handel, Handwerk oder als Aufseher (mayordomo) auf den Haciendas und Viehfarmen verbunden. Die Zuordnung zu einer bestimmten Statuskategorie in Zensus, Tauf- oder Heiratsregistern war häufig nicht konsistent. Sie konnte im Laufe des Lebens einer Person mehrfach wechseln.

Mit der Unabhängigkeit brach das – theoretisch starre, in der Praxis jedoch durchaus flexible – sistema de castas zusammen. Vor dem Hintergrund der die nationale Integration anstrebenden Ideologie der mestizaje wurden die Begriffe M. (bzw. ladino) insbesondere seit dem frühen 20. Jh. in vielen Staaten LAs zur allgemeinen Bezeichnung der Spanisch sprechenden Bev.-Teile in Abgrenzung zu den Indigenen.

Literaturhinweise

R. D. Cope: The Limits of Racial Domination. Plebeian Society in Colonial Mexico City, 1660–1720, Madison 1994; S. Kellogg: Depicting Mestizaje: Gendered Images in Colonial Mexican Texts, in: Journal of Women’s History 12, 3 (2000): 69–92; M. de la Cadena: Indigenous Mestizos: The Politics of Race and Culture in Cuzco, Peru, 1919–1991, Durham 2000.